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Nam Tchun-Mo: 'Stroke Line', 2004

Nam Tchun-Mo

'Stroke Line', 2004
Jo Hyun Galerie, Pusan, Korea

Vollbild

DAS FELD WIRD BESTELLT
Nam Tchun-Mo und die spirituelle Wirklichkeit der technisierten Welt

Nam Tchun-Mo zeigt seine „Stroke Lines“ auf den großen Marktplätzen der Welt, wo Kunst  gefragt und angeboten wird: Von Köln über Karlsruhe nach San Francisco, Abstecher in   Melbourne, nicht weit von Shanghai, und überhaupt kennt Kunst keine Grenzen in unserer  globalisierten Welt. Kunst ist gefragt, und was hat man nicht alles schon gesehen.
  Michael Burges, der sich mit der Kunst und Spiritualität Asiens bestens auskennt und selber Maler ist, der die deutschen Feuilletons in Atem hält, findet die neueren Sachen von Nam  Tchun-Mo „ganz in Ordnung“. Gut sei es, dass Herr Nam sich von dem „tachistischen  Malkram befreit“ hätte; denn heute gehe es nicht mehr um die „solipsistische große Geste der  Nachkriegsselbstfindung, sondern um die Durchdringung der Materie und spirituelle Erkenntnis...“ Das ist ein guter Ansatzpunkt. Nam sagt von seiner Kunst, sie reflektiere die „spirituelle Realität der industrialisierten Welt“. Das interessiert auch die Journalisten; denn darüber lässt sich philosophieren, darüber lässt sich schreiben.

   Nam Tchun-Mo begann ganz klassisch, wie es sich für einen akademisch ausgebildeten Maler gehört. Seine ersten Werke, Frauenakte, stehen noch ganz unter dem Eindruck des erdigen Cézanne und einer sehr konkreten Körperlichkeit. Es folgte die Phase der Auflösung, deren Exponate kaum bekannt sind. In Deutschland der 90er Jahre, die Nam Tchun-Mo mit einer Ausstellung seiner Werke in der Galerie Epikur in Wuppertal krönte, entwickelte er jenen „tachistischen Malkram“, den der wenig charmante Burges nun nicht so leiden kann. Was Burges in den Werken jener Zeit nicht sieht, ist die Urkraft und Gebärde, die unter Spannung gesetzte Form, die sich in einem diffusen, malerischen Umfeld behauptet und durchsetzt. Wenig später wird die Kunst von Nam Tchun-Mo mutieren. Zuerst lösen sich die Formen heraus; denn sie werden wichtiger als das malerische Umfeld im Bilde selbst. Man könnte an Skelettierung denken, an einen operativen, malerischen, ja medizinischen Akt, wenn es dabei geblieben wäre. Es bleibt dabei, wenigstens in seinen Zeichnungen bis heute. Aber dann wartet Nam Tchun-Mo plötzlich zu unser aller Überraschung mit seinen „Stroke Lines“ auf. Auf den ersten Blick sind diese „Akte“, in Kästen verpackt, nichts als stilisierte Linien – und Furchen, Ackerfurchen aus der Vogelperspektive gleich. Eine Art Enkaustik behandelt die zu dreidimensionalen Ausfaltungen gefügten dünnen Gewebe und wölbt sie auf, vertieft sie wieder und so im Rhythmus des bestellten Feldes, Furche an Furche, Linie an Linie, fein gezogen der Strich, taktil die an den Rändern aufgewölbte Furche zur Linie gerichtet, die so nicht statisch wirkt, jedenfalls nicht vollkommen, sondern immer noch die Handschrift des Künstlers, die Goldene Linie, verrät. Das lässt die Linie sanft, doch zugleich unerbittlich streng in ihrer aneinander gereihten Serialität erscheinen. Das macht sich sehr schön, warme Rot-, Gelb- und Ockertöne, aber auch Grün und selbst Hellviolett, die natürlichen Lilatöne sprechen den Betrachter an. Durch die dreidimensionale Gestaltung bricht sich oder fängt sich das Licht in den beinah transparenten farbgetupften Geweben, die im Sonnenlicht besonders schön erstrahlen.

   Will man die Kunst von Nam Tchun-Mo verstehen und sich nicht nur bloß an ihr freuen, muss man den Künstler begleiten, hinaus aus dem Museum, ab ins freie Feld, und am besten eines dieser „Stroke Lines“ in die von Menschen geschaffenen Ruinen platziert, verlassenen Häusern, Unterschlüpfen aus Beton, Stein und in ihrer Kargheit abstoßend einsam. In dieser verlassenen Umgebung machen die „Stroke Lines“ wirklich Sinn. Nicht so sehr, dass sie die von Menschen verlassene Ruine zu einem Ort der Kunst machten, das tun sie auch, aber sie setzen das göttliche Prinzip, die Ackerfurchen, inmitten des von Menschenhand zerstörten Zivilisationsbaues, das ist die eigentliche Gegenwelt, die spirituelle Realität der  technisierten Welt. Das alte Indianersprichwort überliefert jenen Sinn, dass der Mensch nach dem Abholzen seiner Wälder schließlich erkennt, dass man Geld nicht essen kann. Insofern sind die Bilder Nam Tchun-Mo's, besonders seine „Stroke Lines“ Erinnerungen, Ermahnungen, was uns im Leben eigentlich das wichtigste sein sollte. Brot ist heilig, der Acker ist heilig, wie sollen wir denn anders überleben? Insofern ist Nam Tchun-Mo mit seiner Kunst den Burges, Burens und allen anderen Westlern überlegen, die Gottes offene Türen einrennen, wenn sie glauben, mit Naturwissenschaft und Mystik sei in der Kunst eine neue Einheit einzugehen und zu bilden. Das Thema ist uralt. Aber dass der Maler uns den Acker zeigen will und muss – als Kunstwerk, das ist neu: Linien und Geometrie an die Bilder der Natur angepasst, an ihre Wellen, ihre Täler, Berge, den stilisierten Acker gleichsam ins Wohnzimmer geholt, abstrakt und dreidimensional, als Idee, als Ziel, als Wunsch, der uns die wahre Natur nicht ersetzen kann, aber er kann den der Natur entfremdeten Menschen daran erinnern, was das göttliche Prinzip eigentlich ist und was es bewirken kann. Der Auftakt zu neuer Spiritualität, eine Kunst geht um die Welt und stiftet einen neuen Glauben. Da regt sich der alte Buddha, indem er sagt: Ich habe im Dickicht der Städte einen alten Weg wiederentdeckt, den Weg zur Erkenntnis, Erleuchtung und Befreiung. Das möchte auch die Kunst von Nam Tchun-Mo mit dem Betrachter teilen. Sie will nicht nur gefallen; denn sie ist tiefer angelegt. Hierher führt also der  alte Weg, wie ihn die Erleuchteten seit jeher beschritten haben. Der Acker wird bestellt.                     Thomas Marcus Illmaier

Text, Okt. 2006, aktualisiert, Febr. 2007

Wiederveröffentlicht in:

Nam Tchun Mo, Ausgewählte Werke 1998-2009. Hrsg. Nam Tchun Mo, 2010. ISBN 978.89.94155.02.3