Die andere Seite
Otmar Alt im Von der Heydt-Museum

Großer Bahnhof für Erwachsene und Kinder: Das Von der Heydt-Museum präsentiert noch bis zum 14. August ein Phantasie-Land mit Kunst von Otmar Alt. Der verspielte Künstler, der fabelnd wie Lafontaine oder Äsop Menschengleichnisse in Tiercharakteren auftreten läßt, sorgt für ausgelassene Stimmung. In den von Otmar Alt bemalten Bobby Cars kutschieren fröhliche Kinder durch das Forum des Museums, als gehörte es ihnen, als seien sie hier zu Hause.
Wie die fröhliche Seite des Humors auch eine ernste, lehrreiche Seite hat, so ist Otmar Alt nicht nur lustig. Seine vielen Ballettänzer, Zirkusdirektoren und Artisten suggerieren eine unbeschwerte Welt. Und doch spürt man hinter der Verkleidung auch den Ernst des Lebens. Deshalb wirkt diese Kunst der ausgelassenen Phantasie zugleich lehrreich. Bilder wie ,,Und noch ein Spielzeughimmel“, ,,Das Tor zum Himmel“ und andere geben auch den Jüngsten Ahnungen mit auf den Weg, die vielleicht spät, aber dennoch reifen. Denn auch noch als Erwachsener fühlt man sich beim Betrachten der Bilder an Erfahrung mit Kinderaugen erinnert.
Offenbar ist die phantastische Welt des Otmar Alt ein Bedürfnis des Zeitgeistes. Die Industrie interessiert sich für seine Kunst. Seine Motive geben in Serie. Für die Telekom entwarf er die verrückten Telefonkarten; mit ihnen stiftet Otmar Alt zur Kommunikation geradezu an.
Unter all den Phantasiebildern, Grotesken, inszenierten Märchen in Tiergestalt stechen zwei Gemälde heraus. Das eine: ,,Die Proklamation“ faßt politische, ja revolutionäre Botschaft ins Bild; das zweite: ,,Das Abendmahl“ trägt ein Stück Evangelium weiter. Gleich einem Vexierbild, dessen Motiv der Betrachter erst aus den Bezügen der Bildzusammenhänge herauslösen muß, um das Thema zu erkennen, so verbirgt auch Otmar Alt in seinem ,,Abendmahl“-Diptychon die biblisch überlieferte Szene: Keiner, außer Jesus und Judas selbst, weiß, wer der Verräter ist. Der Schauende muß sich in das Bild vertiefen, um Form, Sinn und Gestalt des Themas, das Matthäus 26 überliefert, zu entschlüsseln.
T. Illmaier
(Otmar Alt: Die andere Seite – Phantasie. Von der Heydt-Museum Wuppertal bis 14. August 1994 – Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr; Donnerstag 10 bis 21 Uhr. Umfangreicher Farbkatalog 49 Mark. Führungen auf Wunsch unter Telefon 563—6231. Inhabern des Ticket 2000 gewährt das Von der Heydt-Museum in Zusammenarbeit mit den Wuppertaler Stadtwerken auf die Eintrittspreise 50 Prozent Ermäßigung).

DER WEG, 31/1994.


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