BackstubengalerieFRISCH AUS DEM OFEN
Erinnerungen an die Backstubengalerie
von Thomas Illmaier

Als das Von der Heydt-Museum 1990 restauriert und der Öffentlichkeit im neuen Glanze zurückgegeben wurde, suchte das weltbekannte Museum freie Mitarbeiter, die dem Ansturm des Publikums gerecht würden. Tägliche Führungen durch das Haus beschäftigten wohl an die zwanzig Kunst- und Architekturstudenten, die den neugierigen, aber auch wirklich interessierten Menschen die Kunst des Hauses näherbrachten. Dieses war auch mein Job geworden, wenngleich ich nicht aus der Kunstgeschichte, sondern aus der Philosophie kam. Wenig später warb mich die Westdeutsche Zeitung, für das renommierte Lokalblatt über Wuppertals Kunstausstellungen zu berichten.
So lernte ich die Welt der Kunst kennen. Im Zentrum das Von der Heydt-Museum, darum herum eine Reihe von zum Teil avantgardistischen Galerien, die das Kunstleben in der Stadt bestimmten. Darunter auch die Backstubengalerie in der Schreinerstraße auf dem Ölberg. So genannt, weil dies der letzte Berg der Stadt gewesen war, der vom Öl auf Gasbeleuchtung umgerüstet worden war. Heute leben Türken, Griechen und Italiener hier, deren Vorfahren einst Gastarbeiter des zerbomten Deutschlands waren.
Die Backstubengalerie besuchte ich häufig im Auftrag der WZ, der Kirchenpresse und anderer Organe, um für sie Artikel zu schreiben. Das musste schnell gehen: Sehen, schreiben, abliefern, am besten noch aktuell in der Nacht der Redaktion faxen. „Die Machtlosigkeit der Kinder in der Welt – drei Stilzyklen von Hildegard Enderle“, „Die Senioren als ehemalige Agenten – neue Bilder von Eberhard Bitter“ oder „Heiße Töne sichtbar gemacht – Kunst und Musik von Andreas Landrock“, so lauteten die Schlagzeilen. Eine besondere Ausstellung lieferte Lotte Hering. „Die Leere ist Form“, unter diesem Titel fasste ich die neuen Aquarelle der Hobbykünstlerin. In der Tat ließen die luftigen, leeren Figuren Fernöstliches ahnen; denn wie aus der Philosophie des Buddhismus geschnitten, prangten die Bilder, traten sie auf. Frau Hering war damals in der Tat in dem meditativen Universum Buddhas zu Hause.
Doch erlebte ich nicht nur Highlights der Kunst, sondern wurde auch Zeuge des intriganten Machtspiels im Kunstbetrieb hinter den Kulissen.
Irgendwann um die Jahreswende 1991/92 besuchte ich die Backstubengalerie zur Pressevorbesichtigung anlässlich einer Ausstellung. Neben mir waren nur Frau Ostermann, die Galeristin, und Harald Nowoczin anwesend, der als Lobbyist einer Gruppe ukrainischer Künstler auf mich gewartet hatte. Nichts Böses ahnend begrüßte ich ihn, worauf sich sein Gesicht veränderte und er ganz dicht an mich herantrat: „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, unsere ukrainischen Künstler so schlecht zu machen?“ Ich verbat mir diese Nötigung und stellte ihm die Gegenfrage, ob er die Pressefreiheit beschneiden wolle? worauf Herr Nowoczin sich verzog und ich meine Besichtigung fortsetzen konnte.
Der Hintergrund dieser Entgleisung war meine Berichterstattung in der WZ vom 20. Dezember 1991 gewesen, wo ich geschrieben hatte: „Für westliche Augen sind die Bilder nicht eigentlich »modern«. Es handelt sich zwar um zeitgenössische Kunst, doch wirken die Bilder wie aus der Vergangenheit. Stilistisch sind die Bilder, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht bis zu dem Punkt vorgetrieben, der ihnen zeitloses Bestehen ermöglichte. Die Ukraine als Weltstaat wird mehr und Besseres zu bieten haben.“
Diese Zeilen hatten den Lobbyisten und Intriganten enragiert. Ähnliches versuchte später auch die zunächst arbeitslose und im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme am Von der Heydt-Museum beschäftigte Erika Günther, die dann aber zur Pressechefin des Museums aufstieg. Nachdem sie den Führungsposten eingenommen hatte, kehrte sie aus, und zwar mit eisernem Besen. Fast alle freien Mitarbeiter wurden entlassen. Auch mit mir legte sie sich an. Sie hatte mich fälschlicherweise für ihren Hausjournalisten gehalten.
Eine der interessantesten Ausstellungen in der Backstubengalerie, zu deren Zustandekommen kurz vor dem neuen Millennium ich noch beitragen konnte, waren die Bilder von Arnold Povilionis. Der litauische Künstler, als Kind heimatlos geworden, zeigte in seinen Bildern immer wieder die verbrannte Erde, auf die er Stofffetzen klebte, die ein Stück Heimat festgehalten hatten, indem sie den Menschen in seiner Alltäglichkeit zeigten: Am Tisch, im Bus oder in sonstigen, beinahe familiären Situationen. Der Künstler hängte nicht zu viele Bilder, so dass die Reinheit des angeschlagenen Tones geradezu sichtbar, fühlbar wurde und uns alle, die wir die Bilder sahen, deutlich erhob.
Aber auch Lustiges und geradezu Unverfrorenes erlebte ich während meiner Zeit als Reporter in dieser Stadt. Wuppertal, häufig Gegenstand interner Kritik, galt als eng, schmierig und korrupt. Johannes Rau lebte in dieser Stadt, in der auch Friedrich Engels geboren wurde, der hier und in Manchester die Verelendung der Arbeiterklasse exemplarisch studierte. Aber seit der Gründerzeit, als die Von der Heydts, Bankiers und preußische Beamte, die Geschicke der Stadt bestimmten, hatte sich die Stadt natürlich sehr verändert. Doch kam niemand an den betrunkenen und vor Schmutz starrenden Menschen vorbei, die die Unterführung, die den Bahnhof mit der Innenstadt verband, liegend säumten. Als man in den 90ern den Oberstadtdirektor wegen Korruption verhaftete, wunderte sich niemand. In dieser Stadt schien alles möglich zu sein. Auch der international bekannte Ästhetiker Bazon Brock lehrte neben einigen anderen hochkarätigen Kunstprofessoren wie Michael Badura an der Universität Wuppertal. Einmal war ich zu Gast in Bazon Brocks Doktorandenseminar. Als er das Hinterzimmer einer Künstlerkneipe betrat, in der seine Doktoranden auf den Meister bereits warteten, stellte er erst einmal den Fuß auf den Stuhl: „Seht her!“ sagte er, „passen meine grünen Strümpfe nicht wunderbar zu meinem grünen Anzug?!“ Ein Gespräch über Kunst entspann sich. Die Kunst müsse doch die Sehenden erfrischen, ja in ihrer Wahrheit und Freiheit doch heilend auf den Menschen wirken, fand ich. Bazon Brock aber antwortete: „Ja, wenn es Ihnen nur um ein Mittel gegen Schmerzen geht, dann können Sie auch Togal nehmen.“ Er hatte die Lacher auf seiner Seite. Doch empfahl ich mich bald.
Menschen, Märkte, Mächte, das konnte ich anhand der Kunst in Wuppertal studieren. Die Backstubengalerie war deshalb ein besonders lehrreicher Ort, weil hier auch weniger bekannte und gänzlich unbekannte Künstler ausstellten, die so den „Backofen“ als Sprungbrett in die Öffentlichkeit nutzten. Horaz lehrte vor 2000 Jahren „Nil admirari“, bewundere nichts! Chesterton hingegen, der berühmte und spät zum Katholizismus konvertierte Protestant, lehrte in einem seinem Romane, die er wie seine „Pater Brown“ Krimis in missionierender Absicht schrieb, der Kunstkritiker müsse über die Fähigkeit der bewundernden Begeisterung verfügen. Das unterscheidet ihn, so meine ich, vom Kriminologen. Zwischen beiden Polen, der eiskalten Teilnahme und dem anteilnehmenden Feuer des Geistes, treibt sich der unbefangene Chronist herum. Die Kunst braucht ihn, der Künstler braucht ihn, dessen Werke heute oftmals für den Hausgebrauch ganz unverständlich sind, als Übersetzer für das Publikum, das so mit dem Geist, den es leider selten besitzt, auch Schwieriges sehen und schauend durchdringen kann.

2 Bilder: Olle Hex, Maskottchen der Backstubengalerie; Galeristin Frau Ostermann. Fotos: Svetlana Zunder.

 


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