GandharaGandhara
Das Erbe Alexanders

Alexander der Große erreichte mit seinem gewaltigen Heer den indischen Subkontinent um 300 v. Chr. In Nordindien, wo er den Indus überschritt, begegnete er zum ersten Mal den buddhistischen Mönchen. Er war erstaunt, nicht so sehr über die Existenz dieses Ordens, der Gautama Buddha, dem Erleuchteten, Erwachten, huldigte, sondern vielmehr darüber, dass sein Lehrer Aristoteles, der doch selbst ein großer Philosoph war, ihm nichts von diesen Mönchen und ihrem Buddha erzählt hatte. Doch getreu der Maxime seines Lehrers – „Nicht weise ist, wer nicht reden kann von allem, was der Mensch zu wissen vermag“ – ließ er sich in die Religion des Buddhismus einführen; denn was ihn, den Gottgleichen Alexander, betraf, so gab es für ihn nichts Schöneres, „als alles zu wissen, was die Götter betrifft“.
Es gab jedoch noch einen gewichtigen Grund für den Krieger, sich mit Buddha auseinanderzusetzen. Roger Peyrefitte beschreibt in seiner Alexander-Biographie minutiös, gestützt auf alle verfügbaren antiken Quellen, wie Alexander dem Buddhismus in dieser frühen Zeit begegnete. Danach klärte Sisikottos, ein Vertrauter Alexanders, diesen darüber auf, „dass einer der Gründe für den hartnäckigen Widerstand der Aspasier und der anderen Stämme die Befürchtung sei, er wolle ihnen diese Reliquienschreine Buddhas rauben.“
Neu für Alexander waren die disziplinierten Gemeinschaften buddhistischer Mönche, die in den Bergen Nordindiens lebten. „Männer, Jünglinge und Knaben, die safrangelbe Gewänder trugen und nicht in den Krieg zogen, sondern studierten und ihren Glauben praktizierten. Einigen war man schon begegnet. Ausgerüstet nur mit einem Stock wie Diogenes, einen Blechnapf, Zahnstocher und Rasiermesser - sie rasierten sich Kopf- und Körperhaar gleich den ägyptischen Priestern -, wanderten sie, um Nahrung bittend, durch das Land.“
Alexander ließ sich interessiert von einem der indischen Fürsten, die sich bereits unterworfen hatten, „die Grundgedanken der buddhistischen Lehre erklären. Auf seine Bitte hin nahmen die Philosophen seines Gefolges an dem Gespräch teil. Wie die Religion der Juden verdammte auch der Buddhismus die Sinnenlust, aber ebenso den Krieg und die Gewalt. Er verlangte Selbstlosigkeit und empfahl die Loslösung von allem Irdischen. Anaxarchos fand in dieser Lehre eine gewisse Ähnlichkeit mit denen des Zoroasters, des Pythagoras und des Orpheus. Pyrrhon war beeindruckt von der Vorstellung vom Ende der Leiden durch Wunschlosigkeit und durch das System der acht Pfade der Weisheit, die zum absoluten Glück oder dem Nirvana führten. Um alle Gewalt zu vermeiden, untersagte der Buddhismus sogar, einer Gottheit Tiere zu opfern. Onesikritos wies darauf hin, dass in alten Zeiten die Griechen es ebenfalls strengstens ablehnten, ein für die Feldbestellung geeignetes Tier zu töten, und dies durch ein Gesetz verboten hatten. In Erinnerung an diese Tradition brachte man jedes Jahr in Athen dem Zeus, Beschützer der Stadt, ein Opfer dar.“
Als Feldherr und als Gottesdiener, ja er war inzwischen selbst kraft seiner ungeheuren Erfolge von den Seinen als Gott angesehen, und man verehrte ihn als solchen, ließ er fragen, wieviele buddhistische Klöster es gebe. „Man sagte ihm, dass allein im Tal des Swat, durch das die Pilger aus China zogen, mehr als tausend gelegen seien. Nach den vielen Buddha-Schreinen zu urteilen, die den Weg säumten, musste eine riesige Anzahl von Reliquien des Gottes existieren. Als Alexander seine Verwunderung darüber äußerte, erklärte man ihm, dass sogar der Staub, über den der Buddha gegangen sei, als Reliquie gelte. Man wohnte einem Gebet der Mönche bei. Jedes Wort, auf das eine Pause folgte, war von einem Trommelschlag begleitet.“
Bereits in dieser Zeit gab es schon buddhistische Frauenklöster. Sie durften aber nicht besucht werden. Alexander achtete das. Seine Achtung vor den anderen Religionen ging übrigens so weit, dass er je nach Lage der Dinge und wo er sich strategisch befand, dem Ahura Mazda, Mithras, Brahma oder eben Buddha aus goldenen Trinkschalen ein Trankopfer darbrachte. Die Shiva geweihten phallischen Orgien fanden sein ausgesprochen sexuelles Interesse, dem er ungehemmt nachging. Überdies waren die indischen Frauen seiner Zeit hochberühmt ob ihrer verfeinerten Liebeskünste, die jene, die Alexander bei den Völkern seines Weltreiches gekostet hatte, bei weitem übertrafen.
Alexander, der die Mönchsgemeinschaften, die dem Vorbild Buddhas folgten, mit denen der Pythagoreer verglich, überzeugt, „dass Buddha einen größeren Erfolg hatte als Pythagoras“, bat, die Schriften Buddhas sehen zu dürfen. Sehr erstaunt hörte er mit seinem Gefolge, „dass weder von Buddhas Leben noch von seinen Lehren bisher etwas niedergeschrieben worden war. Der Mann, der als der Weiseste aller Weisen galt, lebte nur in der mündlichen Überlieferung fort, und man besaß kein einziges Abbild von ihm.“
Dass Buddha nicht dargestellt wurde (die frühbuddhistische Kunst zeigt „ihn“ lediglich unsichtbar, z.B. auf einem leeren Thron), empfand Alexander, „der Götterbilder liebte“, als Mangel. Darum ließ er „von einem Bildhauer des Heeres aus schwarzem Stein nach den Angaben eines alten Mönchs den Kopf des jungen Buddha meißeln: Es war ein rundes, sanftes Gesicht mit halbgeschlossenen Augen, das lockige Haar am Scheitel zu einem Knoten gebunden - der Kopf des Buddha war nicht kahlgeschoren wie die Köpfe der Priester -, und um Alexander zu schmeicheln, hatte der Bildhauer ihn mit leicht nach links geneigtem Kopf dargestellt. Alles Mönche warfen sich zu Boden, als Alexander ihnen diese Skulptur übergab. Sie hatten übrigens voller Respekt die Durchführung der Arbeit verfolgt, und der König hoffte, dass einige von ihnen sich zu Bildhauern ausbilden lassen würden. Sie versprachen ihm, diesen Buddhakopf in ganz Indien nachbilden zu lassen, so dass die Inder sich auf diese Weise stets an seinen Marsch durch ihr Land erinnern würden. Er war glücklich darüber, dass er als erster die Gesichtszüge des Buddhas hatte darstellen lassen. Dieser Buddha, aus der Kaste der Krieger stammend und wie er selbst ein Königssohn, war im Überfluss aufgewachsen und hatte mit neunundzwanzig Jahren allem entsagt, um »den höchsten Frieden« zu suchen. Alexander war erst achtundzwanzig, aber, so dachte er, vielleicht würde auch er eines Tages in das Nirvana eingehen, wenn er seine Eroberungen beendet haben würde.“
Soweit der Bericht, den der Diplomat, Gräzist und Schriftsteller Roger Peyrefitte in seiner voluminösen Alexander-Biographie überliefert. Alexanders Tat, Buddha in hellenistischer Schönheit darstellen zu lassen, was den Indern absolut gefiel, hatte tatsächlich Folgen. Die Gegend um Gandhara, im Nordzipfel Indiens gelegen, bewahrte tatsächlich Alexanders Erbe, die hellenistisch klassische Kunst, die wir noch heute so bewundern. Gandhara, im heutigen Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afganistan gelegen, wuchs zur dominierenden Bildhauerschule, die über tausend Jahre das Antlitz des Buddha prägte. Ihre Zeugnisse sind auf viele Museen der Welt verteilt. Besonders schöne Stücke besitzt das Museum für Indische Kunst in Berlin. Als wir an einem der letzten schönen Herbsttage das wiedereröffnete und komplett renovierte, fast zu einem Tempel gediehene Museum betraten, saß eine Frau vor den fast lebensgroßen Statuen und meditierte versunken. Fotografieren wäre eine Sünde gewesen. Schon die leiseste Unterhaltung schien hier zu stören. Die wunderbare Ausstrahlung dieser Skulpturen teilte sich jedem Betrachter mit. Gandhara stellte erst seine Tätigkeit ein, nachdem der Islam Indien überrannt, die Klöster zerstört, die buddhistischen Mönche in alle Himmelsrichtungen zerstreut waren und der indische Buddhismus, von dem Gandhara Zeugnis ablegt, für immer erlosch.

Thomas Illmaier (Originalfassung)

Redigierte und gekürzte Fassung: Alexander der Große – ein Buddhist? In: Ursache & Wirkung, 1/2001, S. 56-58.

Fotos: „Der junge Alexander“ von Arno Breker; drei Figuren aus Gandhara.

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