Gelpke, RudolfDIE ZELTMACHER

Rudolf Gelpke kletterte auf die Dachterrasse seiner Basler Wohnung und ließ sich in den Lehnstuhl fallen. Die nächsten zwei Stunden schaute er nur noch in den Himmel. „Aber was für ein Himmel war das!“ schreibt er in seinen „Fahrten in den Weltraum der Seele“ über seinen Versuch mit 20 mg CY (Psilocybin aus dem Hause Sandoz) am 25. April 1961. Während er in den Himmel starrte, öffnete sich ihm die ungeheuerste Vision. Die alten Götter bevölkerten den Himmel - unsichtbar, doch überall spürbar: „Ich sah ihre Krönungshalle, und darüber sah ich das Drehen der unsäglichen Kuppel im Eiswind der Ewigkeit, und sah das Pendeln der Weltuhr von Tierzeichen zu Tierzeichen. Auch sah ich die Wolken aufwärts in den aufgerissenen Abgrund des Himmels stürzen und derart zu Pfeilern der Halle werden. Sie waren mit geschnitzten Masken über und über behangen, und auch diese konnte ich in Ruhe betrachten. Nur den Einzug der Götter zu sehen, war mir versagt, und mit Grund; denn schon die dröhnende Stille, die diesem Einzug vorausging, griff nach meinem Herzen mit Gletscherfingern und preßte mich mit so furchtbarer Gewalt nach rechts und nach unten in meinem Lehnstuhl zusammen, daß selbst das Erschrecken auf den Lippen versteinte, bevor es zum Schrei werden konnte.“ Die Angst, zwar nicht der Teufel, aber die Götter könnten ihn holen, Todesangst, war ihm schon früher begegnet. Da wurde ihm Tiefstes, auch Vorherbestimmtes bewußt, wenn er schreibt, „ich sehe dicht vor mir ein riesengroßes, lichtübergossenes Banner. Seine Farbe ist Orange-Rot-Gelb und es besteht offenbar aus Seide. In diese Fahne schreibt - oder besser: reißt - eine Adlerklaue (ich sehe nur sie, und nur eine) seltsame Zeichen, die ich nicht entziffern kann. Ich ahne mehr, als daß ich sehe (vielleicht könnte ich, aber ich habe Angst), daß unter dem Bannertuch verborgen der TOD ist...“
Wer war Rudolf Gelpke? Dem Basler LSD-Entdecker Albert Hofmann hatte er sich als Islam-Wissenschaftler vorgestellt. „Nach einem Vortrag über mexikanische Zauberpilze, den ich“, schreibt Hofmann, „damals (1960) vor der Naturforschenden Gesellschaft in Basel hielt, stellte sich aus der Reihe der Zuhörer ein junger Mann vor. Er sei Islam-Wissenschaftler und kenne aus praktischen Erfahrungen die Rauschmittel des Orients. Nach dem, was er in meinem Vortrag über Rauschmittel der westlichen Welt, über die indianischen Drogen, gehört habe, würde er gerne auch mit diesen experimentieren und Erfahrungen sammeln; ob ich ihm dazu behilflich sein könne.“ Hofmann versorgte ihn mit LSD und Psilocybin. „Das konnte ich“, schreibt Hofmann; „denn damals stellte Sandoz der Ärzteschaft und Forschungsinstituten LSD unter der Markenbezeichnung Delysid und Psilocybin als Indocybin großzügig zur Verfügung. Voraussetzung war, daß die geplanten Versuche unter der Ägide eines Arztes durchgeführt wurden.“ Gelpkes Schwager war Professor für Anästhesiologie, das war also kein Problem.
Diese Versuche mit Hofmanns „Zauberdrogen“ verbanden sich bei Gelpke mit seinen Islamstudien, deren Frucht das bei Klett-Cotta 1966 erschienene Buch „Vom Rausch im Orient und Okzident“ ist. Es ist das bisher einzige Buch, das in authentischer Weise den Einfluß von Haschisch und Opium auf die Kultur des Islam beschreibt. Persische, arabische und türkische Dichter kann man nur verstehen, wenn man weiß, welche Erfahrung hinter ihrer Mystik in Kunst und Literatur verborgen ist. Es gibt eine Reihe persischer und arabischer Dichtungen, die ganz offen über die Wirkung von Haschisch und Opium schreiben. Die Dichter Rumi, Hafêz und Omar Cheyâm, genannt „der Zeltmacher“, benutzten die Welt der Pflanzen, um die Grenzen des Ich zu sprengen; sie wollten fanâ erreichen, das höchste Ziel Islamischer Mystik. Das klingt wie ein Echo des buddhistischen nirvana - Persien war ja jahrtausendelang die Brücke gewesen zwischen dem Orient und dem Okzident, zwischen Indien und dem Mittelmeer. Wie der Buddhist das Nirvana streben der Sufi und andere islamische Mystiker Fanâ als letztes Ziel von irdischer Befreiung an. Erst durch Befreiung von den Fesseln des Ich im „Entwerden der Persönlichkeit“ erreicht der Mystiker das letzte Ziel, nämlich die Einheit mit Gott, die unio mystica, wie die Buddhisten das Nirvana als die Aufhebung jeglicher Grenzen des Ich und die Rückverwandlung in Sternenstaub. Diese absolute Synthese ereichen die Mystiker durch Tanz, bei den Sufis das Drehen um die eigene Achse, Wiederholen von Worten und Silben (Mantras), Disziplinierung des Atems (Meditation) sowie durch Haschisch und Opium. Das Opium hat die Orientalen die Leere der Welt gelehrt. „Der größte iranische Erzähler dieses Jahrhunderts, Sêyat Hedâyat (1903-1951)“, schreibt Gelpke, „beschreibt einmal die Wirkung dieses kostbaren Heilmittels, des Opiums, folgendermaßen: Meine Vorstellungen und Gedanken wurden befreit von den Fesseln der Schwere irdischer Dinge und flogen einem ruhigen und schweigendem Himmel entgegen. So, als habe man mich auf goldene Nachtfalterschwingen gebettet, erging ich mich in einer leeren, strahlenden Welt, in der ich auf kein Hindernis mehr stieß. So tief und so genußvoll war dieses Erlebnis, daß es wohl den Todesgenuß selbst überwog...“ Zum Stichwort Todesgenuß wird gleich noch Entscheidendes beigetragen. Haschisch dagegen zeigt die Bilderflut inmitten der Leere, oft mit Opium kombiniert oder in Wein gelöst. Bespiele finden sich schon in 1001 Nacht, in der berühmten 143. Nacht, in der Geschichte vom Haschischesser, der sich im Badehaus mit dem dunklen Grünen satt und tief entrückt bezaubert. Dazu gehören das erigierte Glied, die Paradiesmädels (persisch: Hurî) und die Nähe zum Orgasmus, dank der aphrodisierenden Kraft des Haschischs. Die aphrodisierende Kraft ist gleichsam die Energie, die den Mystiker antreibt, noch höhere Erwartungen an Gott, an das allumfassende Nichts zu stellen, und die letztendgültige Befreiung von der Bedingtheit der menschlichen Existenz anzustreben. Opium schafft die grenzenlose, alles befriedende Leere; Haschisch öffnet die Bilderflut: Beides läßt den Mystiker vorübergehend im Paradiese weilen, von dem der Koran die herrlichsten Bilder beschreibt.
Speziell die Haschischkultur und die feine Erotik des Opiumrausches haben sich in der Islamischen Mystik tief verwoben. Feinstes Opium wurde an die Pfeifenköpfe geklebt und dann geraucht. Haschisch wird in verschiedenen Zubereitungen genossen: „mit Tabak in der berittenen Wasserpfeife, mit Yogurt vermischt als Sauermilch der Einheit Allahs, zusammen mit Opium als Geist der Dämonen...“, weiß Gelpke aus erster Hand zu berichten. Aus dieser Mischung entstehen die phantastischen Geschichten. Dschinnen tragen die Menschen im Nu von einer Stadt zur anderen, Riesenvögel oder Geisterrosse zu weitentlegenen Inseln, so ein anderer Gewährsmann. Gelpke berichtet aus eigener Erfahrung über den „gelenkten Haschischrausch“, einer „gelenkten Meditation“ von heute vergleichbar. Erfahrene Mystiker halfen ihm, den Rausch tief und auf orientalische Art zu genießen: „so das Fliegen, die Zaubergärten, berückende Düfte, jähe äußere und innere Verwandlungen (man ist winzig klein oder riesengroß, Verzweiflung schlägt in Seligkeit um oder umgekehrt), geheimnisvolle Geisterstimmen, und anderes mehr.“
Vor Dauerkonsum und Überdosierung insbesondere des Opiums und des Haschischs warnt Gelpke. Eine Gesellschaft, die nicht gelernt habe, zitiert er Sidney Cohen, visionenschenkende Drogen in den bisweilen festlichen Alltag zu integrieren, laufe Gefahr, „aufgerollt“ zu werden. Denn diese Drogen wirken auf die Gesellschaftsmechanismen Leistung und Konkurrenz zersetzend. Der einzelne sei besonders dann gefährdet, wenn er bislang nur extravertiert, hingegeben an die Außenwelt - die Welt des Scheins (Reklame, Propaganda, Lebenslüge) goutierte. Die jähe Konfrontation mit der inneren Wirklichkeit (des Unbewußten, des Verdrängten) könne, einem Schock gleich, den Menschen zerbrechen. Diese Gefahr sei bei den Völkern des Orients nicht gegeben. Sie seien weder am Opium noch am Haschisch zerbrochen. Sie habe die jähe Konfrontation mit der Außenwelt - der technischen Zivilisation des westlichen Menschen zerstört. Alkohol und Konsumdenken tun ein übriges. Die Rache der Natur macht sich heute auf beiden Seiten des Erdballs bemerkbar, und zwar bedenklich.
Im Unterschied zur westlichen Zivilisation des Abendlandes ist der Tod nicht „der Sünde Sold“. Er bildet nicht den Komplex des Schreckens, des Gerichtes aus, wie wir das aus dem Christentum kennen. Der Tod in der orientalischen Mystik ist eher süß (wir hörten vom Todesgenuß), ein erstrebenswerter Zustand, der zur Befreiung aus den Fesseln der menschlichen Existenz und zur Vereinigung mit Gott führt. Eros, Liebe nähren die Hingabe an ihn, darum sind Rausch und Liebe in der persischen Mystik so eng verwoben. Dies bedeutet nicht Todestrieb im Sinne Sigmund Freunds. Es bedeutet, schon im Leben jetzt die Schlüssel zum Paradies zu bewegen. Und siehe da, sie passen. Existenzangst, im letzten Todesangst, führt Gelpke auf mangelnde Selbsterkenntnis zurück, zu der die visionenschenkenden Drogen Schlüssel sind. Darum sagt der persische Dichter Omar Cheyyâm, der Zeltmacher: „Reicht dir ein Weiser Gift, so trink’s getrost, reicht Gegengift ein Tor dir, gieß es aus!“ Die „verwirrende Ambivalenz von Rausch und Berauschungsmitteln“, schreibt Gelpke, habe „niemand schärfer erkannt und tiefer gedeutet...als die Perser; denn es gibt wohl auf Erden kein zweites Volk, das mit abgrundtiefer Skepsis einen so unstillbaren Durst nach dem Absoluten, nach ekstatischer Hingabe und Selbstaufgabe, verbunden hätte.“
Eine Parallele zur persischen Mystik und ihrer Geisteshaltung, als Indogermanen sind die Perser mit uns offenbar nicht nur sprachlich verwandt, sieht Gelpke in der Philosophie des Abendländers und Deutschen Hans Werthmüller. Der Philosoph schreibt in seinem Buch „Der Weltprozeß und die Farben“ (1950) , was Weltzerstörung und Weltuntergang nicht nur für den Einzelnen sondern für die Welt und ihre Superzivilisation insgesamt bedeuten. Alle Atomwaffen seien letztenendes Mittel, die Einheit mit Gott in einem gewaltigen Atomblitz der Erkenntnis herbeizuführen. Diese einseitige Tendenz werde aber wie Yin und Yang durch die komplementäre Einstellung, Leben zu kreieren, ergänzt. Gegenüber dem Todeshauch walte der Odem des Lebens vor allem in der Medizin und ihrer auf Perfektion angelegten Technik. Ihr Ziel sei die Lebensschöpfung, die Erfindung des Lebenselixiers, die Früchte vom Baume des ewigen Lebens. Darauf sei die Medizin im letzten ausgerichtet. „Erst wenn dieses Mittel gefunden ist, das uns die Unsterblichkeit zu verleihen imstande ist“, schreibt Werthmüller, „wird die unendlich-dimensionale Neutronenbombe diese Unsterblichkeit in der Form bestätigen, daß sie die Menschheit gleichzeitig in einer Urexplosion in die Ureinheit zurückführen wird.“ Der Knall, durch den der Mensch „Gott ebenbürtig wird, den ganzen Kosmos als überflüssig zerstört, mit dem ganzen Kosmos in die Ureinheit zurückehren wird.“
Hoffnung oder Horror? Skepsis nach Bedarf. Gelpke jedenfalls habe, nach Meinung von Hans-Georg Behr, „zu tief in den Pharmatopf“ gelangt; nach Auskunft von Albert Hofmann habe Gelpke, damit er sein Arbeitspensum schaffe, besonders zu Ende seines Lebens zu oft und zu viel Amphetamine zu sich genommen, was die Gehirnäderchen brüchig werden lasse. Das habe schließlich den Gehirnschlag ausgelöst, der Gelpke auf offener Straße fällte. Der Tod ereilte ihn jedoch nicht unvorbereitet. Er habe sich, nach Auskunft seiner Schwester, in seinen letzten Tagen mit dem Tode beschäftigt - als Mystiker kannte er die Zeichen und Symbole, von denen ihm die Brücke besonders wichtig erschien. Memento mori, was die Adlerklaue ritzte, war ihm zum Schicksal geworden.

Thomas Illmaier

Originaltext mit 3 Fotos

Bild 1: Rudolf Gelpke

Bild 2: Der persische Dichter und Mystiker Rumi.
Persische Miniatur, 17./18. Jh. (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin).

Bild 3: Blessings from a Nuclear War, gemalt von Michael Darvill (1987).

Zschr. Hanf, 2/1998, S. 20-21.

 

 

 


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