Buddhistische Meditation lernt man nicht aus Büchern.
Man lernt sie am besten in der Gemeinschaft der Praktizierenden (Sangha) unter
der Anleitung und Anwesenheit eines Lehrers. Das hat zwei Gründe:
1. Lernt man in der
Gruppe besser, weil sie einen trägt, zur Stabilität beiträgt
und die Meditationserfahrung stärkt.
2. Sollte die Meditation
von einem Lehrer der buddhistischen Tradition geleitet werden. Der Lehrer
ist derjenige, der die Meditation schon kann. Wenigstens in der tibetischen
Tradition des Buddhismus, dem Vajrayana (Diamantfahrzeug) ist die Meditation
ein Arbeiten mit Kraft, mit Energie. Einmal abgesehen davon, daß das
heute Mode geworden ist, kann man Energie als das Wesentliche beim Meditieren
bezeichnen. Der Lehrer zeigt, wie man sie wecken kann.
Sodann ist eine gewisse
Einstellung nötig und wichtig, bevor man sich zur Meditation bequemt.
Buddhismus ist ja ein Mittel, ein Fahrzeug (yana), um mit dem Leiden fertig
zu werden. Tatsächlich kommt man zur buddhistischen Meditation mit einer
gewissen Erfahrung des Leidens oder leidet ganz aktuell. Wem es gut geht,
wer keine Sorgen hat, kommt selten zum Buddha. Er mag ihn treffen, aber er
kommt nicht in Kontakt. Meditation ist ein Mittel gegen das Leiden, und deshalb
lernt man meditieren.
Nun kann man sich
fragen, warum gerade Buddha? Es gibt doch so ein vielfältiges Angebot
– Bhagwan, brach radikal mit der Vergangenheit und zog viele Leute an.
New Age, New Wave, Rainbow Power Energy. Alle haben wahrscheinlich schon einmal
etwas gehört vom dreidimensionalen Regenbogen. Aber das ist nicht Buddha.
Buddha ist keinesfalls modern!
Alten Weg wiederentdeckt
“... Angenommen, ein Mann fände im Urwald einen alten Weg. Er folgte
diesem Weg und entdeckte eine verfallene Stadt, die einstmals von Menschen
bewohnt war. Nehmen wir weiterhin an, er teilte dies dem Herrscher des Landes
mit, und dieser ließe die Stadt wieder aufbauen, so daß die Menschen
dorthin zurückkehrten und die Stadt in neuer Blüte erstände.
Genauso habe ich einen alten Weg wiederentdeckt: den von den Erleuchteten
der vergangenen Zeiten beschrittene Weg zur Befreiung.“ (Samyutta-Nikâya)
Nun soll damit nichts
gegen moderne Versuche gesagt werden, Erleuchtung zu erlangen. Der Buddhismus
selbst ist in seiner Geschichte durch drei Metamorphosen gegangen und spricht
heute Menschen auf unterschiedlichen Ebenen an. Aber er ist, wie Nietzsche
sagt, ,,eine Religion für späte Menschen“.
Zum Buddha kommt,
wer schon einiges erlebt hat, viele Wege gewandert ist, die ihn alle nicht
zum Ziel führten, worauf es ihm ankam. Für späte Menschen,
da triffst du ihn plötzlich.
Mit anderen Worten, ohne ein gewisses Maß an Leid bequemt sich niemand
zur Meditation. Die Götter meditieren nicht, die hören nur Musik.
Leid ist auch nicht etwas, das geflohen werden muß, sondern eben das,
was den Treibsatz bildet:
„Gehe widrigen Umständen nicht aus dem Weg; denn sie erfüllen
die Funktion des spirituellen Freundes.“ (Jamgön Kongtrul)
Leid ist eben das, was die Energie zündet, den Weg der Meditation zu
beschreiten.
Die beste Art der Auseinandersetzung mit der menschlichen
Existenz
Meditation im Lotussitz (mit gekreuzten Beinen), ist, wie Chögyam Trungpa
einmal bemerkte, die beste Art und Weise, sich mit der menschlichen Existenz
auseinanderzusetzen. Der Sitz gibt genügend Kontakt mit der Erde, man
hebt nicht ab, der aufrechte Körper hindert einen daran einzuschlafen
und läßt der Energie freien Lauf, die einen Kraftkreis bildet,
den man mit ineinandergelegten Händen schließt. So baut man sich
auf.
In dieser Stellung
wird man bald spüren, daß einem die Energie zufließt, die
sich in einem konzentriert, ohne daß man sie blockieren muß, wenn
sie zu stark wird. Deshalb ist es gut, mit einem Lehrer zu meditieren und
eine Gruppe zu bilden. Der Lehrer, der die Meditation kann, überträgt
dir sein Kraftfeld, das er durch die Meditation aufbaut, und wer buddhistische
Lehrer wie Friedel Kremer oder Ole Nydahl erlebt hat, welche Kraft durch sie
hindurchgeht, der weiß, daß diese Meditationen wirken (ganz zu
schweigen von den hohen Lamas aus Tibet, die jahrzehntelang in diesen Meditationen
auf die Energien des Buddha geschult worden sind).
Diese Energien wirken
durch reine Präsenz, ihre Leuchtkraft und geistige Intensität. Plötzlich
weißt du, was Erleuchtung ist. Nur ohne den Lehrer kannst du diese Ebene
zumeist nicht halten. Deshalb mußt du üben und im Beisein des Lehrers
immer wieder auf diese hohe Energieebene einschwingen.
Der Buddhismus ist
ein altes Auto, ein Oldtimer, ein sehr solides Fahrzeug, das gepflegt worden
ist seit Buddhas Zeiten, Seltenheitswert hat und – immer noch fährt.
Steh mir bei
Es ist unverkennbar, daß jeder Buddhist seinen Meister hat. Diejenigen,
die ihn suchen, wissen nur nicht, wer sie eigentlich führt. Selbst die
Meister haben ihre Führer, zumeist Buddhas der spirituellen Tradition,
der sie sich zugehörig fühlen.
Die buddhistischen
Schulen grenzen sich mehr oder weniger scharf, deutlich, punktuell aber genau
voneinander ab.
Wir begegnen dem südlichen Buddhismus und seinen Vertretern, die vor
allem den Pali-Schriften des Buddha, den ältesten buddhistischen Dokumenten,
die wir haben, folgen. Sie beschäftigen sich mit beruhigenden und einsgerichteten
Meditationen und praktizieren die grundlegende Übung der Achtsamkeit,
eine Praxis, die der Buddha im Satipatthana Sutra lehrt.
Die Vertreter des
nördlichen Buddhismus, wie er noch im chinesischen Ch’an bzw. japanischen
Zen-Buddhismus lebendig ist, lehren das Sitzen und Koan-Übungen, um die
geistigen Schranken zu durchbrechen.
Schließlich
haben wir die starken Richtungen des tibetischen Buddhismus mit seinen vier
Hauptschulen Gelug, Sakya, Kagyü und Nyingma, die alle die vorbereitenden
Übungen (Ngöndro) und die Praxis des Tantra lehren, die mit dem
beginnen, was ich anfangs beschrieben habe.
Auf den einen oder
anderen Weg läßt man sich schließlich ein.
Und auf diesem Weg trifft man schließlich die Lehrer. Den eigenen Lehrer
erkennt man an der Sympathie, an seinen Qualifikationen, die vielleicht nichts
anderes als die eigenen Vorlieben sind. Du erkennst den Meister an seiner
Transzendenz, er komplettiert dein eigenes Erlebnis vom Dasein. Wo du Unsicherheit
spürst, hat er noch sicheren Tritt, wo du vielleicht schon den Abgrund
spürst. Psychologisch gesprochen: Seine Energie reicht allemal hin, dich
durch alle Fährnisse zu tragen. Sie ist far-reaching, nicht nur far-out
– egal wo du bist und wo du stehst. Du lernst den Meister außerhalb
deines eigenen Bewußtseins kennen, auf einem Vortrag, bei einer Meditation.
Er weckt in dir den Meister, du lernst ihn als Bewußtseinsinstanz, als
Bewußtseinsmacht in dir kennen. Und er verstärkt das Erlebnis im
Laufe der Zeit immer mehr, bis du ganz selbständig geworden bist. Bist
du erleuchtet, wird er dein Schüler, oder ihr lacht euch beide eins.
Auf diese Weise wird
dein Leben sehr breit. Du lernst damit umzugehen. Kommst immer besser damit
klar. Diese in dir geweckte, deine ureigenste Vision von Glück, Freude
und Frieden teilst du mit dem Meister; und mit dieser deiner Vision steckst
du andere an.
Das ist im wesentlichen das Leben der Buddhisten.
Die spirituelle Energie
zieht auch das Geld an. Das Glück! Die Geschäfte gehen besser.
ENTARTET
Sag mir, mit wem du umgehst...
Saskatoon, 24. März 1989
Lieber Herr Illmaier,
für Ihren freundlichen Brief vom 1. März danke ich Ihnen herzlichst,
und ich freue mich sehr, daß Sie einen Übersetzer für ihr
Werk gefunden haben. Wie weit ein Werk durch eine Übersetzung gewinnt
oder verliert, ist schwer zu sagen; denn jede Sprache hat ihre Vorzüge
und Nachteile. Es hat mich sehr interessiert, was Sie über die Situation
an den Universitäten schreiben. Heidegger und Husserl haben Gewaltiges
zum Geistesleben beigetragen, aber mit der Nachbeterei ist nichts getan. Beide
müssen durch eine hermeneutische Phänomenologie ergänzt werden,
so etwa wie sie auf diesem Kontinent, noch ganz vereinzelt, von David Michael
Levin angeregt worden ist. Die Ideologie auf diesem Kontinent ist noch ganz
im Reduktionismus des vorigen Jahrhunderts befangen, der sich besonders deutlich
in den sogenannten Geisteswissenschaften auswirkt. Ein wesentliches Charakteristikum
des Amerikaners ist seine Süchtigkeit (nicht ernsthaftes Suchen) nach
einem ,,Meister“ oder ,,Guru“ – any one who has, in Jungian
terms, on overevaluated idea will do –, und mit all den Kultgruppen,
die sich kurzlebig aufmachen, ist die Grundeinstellung ein christlicher Fundamentalismus,
für den Wissen und Lernen Todsünden sind.
Sie haben recht,
mein ,,Matrix of Mystery“ ist kein leichtes Buch, und meine Absicht
war es, zu zeigen, daß im Buddhismus – ich komme immer mehr zu
der Überzeugung, daß dieser -ismus genauso sinnlos ist wie alle
anderen -ismus or -tie Formen – mehr steckt, als was die Gefühlsduselei
annimmt. Abgesehen von der Philologie, die besonders auf dem Gebiete des Buddhismus
ein Unheil nach dem anderen angerichtet hat – (sie entwickelte sich
im Gefolge des Newtonschen Mechanismus und wurde schnell reiner Mechanismus,
als der Logos einen tödlichen Unfall erlitt) – wurde sein übermäßiger
Rationalismus als normativ angesehen und treibt seine Blüten in den sogenannten
Übersetzungen, wie sie von den Tibetern, die ihr Englisch in den Missionsschulen
in Indien gelernt haben, gemacht werden. Das gilt besonders für die Karma
bKa’-brgyud-pas (Kagyüpas, T. I.), die scheinbar vom lukrativen
Missionsbetrieb nicht ausgeschlossen sein wollen. Seit etwa dem 14. oder 15.
Jahrhundert haben sie sich in Tibet nur noch politisch betätigt und einen
gewissen Fundamentalismus vertreten. Eben diese Haltung (ja nichts lernen
und politicken) ist an ihrem scheinbaren Erfolg im Westen verantwortlich;
denn der Westen braucht einen Diktator, ganz gleich wie man ihn nennt. Ich
weiß nicht, was die Auswirkungen des letzten Thrungpa Skandals in Europa
sind oder sein werden, hier jedenfalls haben alle finanziellen Fundierungen
aufgehört, und die ganze Gruppe ist in ,,disarray“. Ich kannte
Thrungpa persönlich, und wenn er nüchtern war, war er ein charmanter
Gesellschafter. Für hiesige Verhältnisse wußte er allerlei,
obwohl er seine Studien nicht abgeschlossen hatte und vollkommen unvorbereitet
von einer ,,mentally imbalanced“ Engländerin nach England gebracht
wurde, von wo er dann sehr bald ausgewiesen wurde. Ich kenne seine diversen
Skandale, die allzuoft Schlagzeilen machten und habe mich deshalb auch immer
von ihm ferngehalten, obwohl er mich gern als Lehrer gehabt hätte. Die
Idee hinter dem Nalanda Institut, das er in Boulder gründete, war nicht
schlecht, aber er hatte kaum Leute, die sie hätten verwirklichen können
und die wenigen entfremdete er mit seiner Promiskuität-Trunksucht-Rauschgift
Vereinigung ,,Vajradhatu“. Der ,,Regent‘, der aus einer anrüchigen
Familie kommt, mußte vor kurzem öffentlich eingestehen, daß
er AIDS hat und eine ganze Anzahl von Leuten infiziert hat. Ob es Thrangu
Rinpoche gelingen wird, den amerikanischen bKa’-brgyud (Kagyü,
T. I.) Sumpf zu säubern, muß dahingestellt bleiben. Auf alle Fälle
ist es den Thrungpa-Anhängern gelungen, ernsthafte am Buddhismus interessierte
Leute in ein schlechtes Licht zu stellen.
Nach diesem Ausflug
in die abgründigen Gebiete der modernen Kultbewegung(en) will ich nun
schließen.
Viele herzliche Grüße Ihr H. Guenther
... und ich sage dir, wer du bist
Es gibt einen starken weltlichen Widerspruch im Buddhismus. Wenn Tibet im
Laufe der Jahrhunderte eine große Anzahl von Erleuchteten hervorgebracht
hat und man den Karmapa, das Oberhaupt (umstritten) der Karma Kagyü Schule,
und viele andere erleuchtete Lehrer Buddha genannt hat, wie ist es möglich,
daß dieses Land, diese Menschen so niedergingen, versklavt von einer
Großmacht und kulturell vom völligen Zerfall bedroht? Wie ist es
möglich, daß Erleuchtete eine Politik führen, die die Menschen
in den Abgrund schickt? Tibet ist ja ein Staat gewesen, in dem das religiöse
Leben Staat und Politik völlig durchdringt. Der Einfluß der Lamas
ist ungeheuer groß. Was also ist mit der Erleuchtung und ihrer Politik?
Buddhas Weg
Der Fuß der Meditation
2. Teil
Seit die Lamas in den Westen kommen, gibt es auch hier tibetische
Politik. Seit Auftauchen Ole Nydahls, des ersten westlichen Schülers
von Karmapa Rigpe Dorje, der das Dharma lehrt, entstehen in Europa von Oslo
bis Athen, von San Francisco bis Krakau überall Zentren tibetisch buddhistischer
Kultur. Wer sind seine Schüler? Keine Angst, ich auch! Das sind die,
die leiden, die kommen zum Buddha. Es sind die, die Hunger haben, gewaltigen
Hunger nach Liebe und – Leben. Wer sind seine engsten Schüler?
Diejenigen, die in den Zentren sitzen, in der Zeitungsredaktion von ,,Kagyü
life“ und sie regelmäßig unter die Leute bringen.
Wer sind die Leute?
Zum einen, wer sich zum Buddhismus bekennt und aktiv im Sinne des Buddha arbeitet,
ist voll ausgelastet. Das ist ein Fulltime Job. Man gibt dafür sein Leben
hin. In den Zentren, die den buddhistischen Namen KCL –wie ein Fußballverein
(d. i. Karme Chö Ling) führen, sitzen die Kracks, das sind die,
wenigstens äußerlich, harten Typen, die die Politik des Dharma
oder was sie davon verstanden hahen, knallhart durchsetzen. (Sicher, den Buddhismus
im Westen zu etablieren, ist nicht leicht.) Woher nehmen sie die Kraft? Ich
habe schon gesagt, daß die Lehrer diejenigen sind, die meditieren können
und Träger dieser durch Meditation gewonnenen Kraft sind. Zudem sind
sie Menschen, die große Macht besitzen. Sie sind Führer eines Volkes
und haben hier zahlreiche Anhänger, vielleicht 1000, die Ole Nydahl bewegen
kann.
Aber das ist nicht
entscheidend. Entscheidend ist, daß die Macht bei den Lamas sitzt. Ihr
internationaler Ruf ist, trotz geschundenem Tibet, sehr gut. Der Dalai Lama
wird sogar Friedenspapst. Den Nobelpreis hat niemand anderer als der Dynamiterfinder
gestiftet. Warum wird Osho Rajneesh nicht für den Friedensnobelpreis
vorgeschlagen? Nun, der Dalai Lama repräsentiert auch den Amtsbuddhismus,
und was wäre die Hierarchie ohne ihre Ämter? Die Macht sitzt bei
den Lamas. Der ganze indo-tibetische Kulturkreis ist, vor allem bewußtseinsmäßig,
ein starker Machtfaktor. Man muß mit den Buddhisten rechnen. Sicher
wäre der Dalai Lama nicht zum Friedensnobelpreisträger geworden,
wenn China nicht so erniedrigend wie blutig hervorgekrochen wäre. Und
buddhistisch exakt ist auch die Figur des Dalai Lama ein Spielball internationaler
Interessen. Ein Selbst kommt keinem Individuum zu. Das ist grundwichtig beim
Verständnis der buddhistischen Philosophie. Nichtsdestotrotz konzentriert
sich um den Dalai Lama und die Lamas überhaupt eine große, Macht,
was nicht heißt, daß sie eine Großmacht sind.
Ergibst du dich dieser Kraft, mußt du etwas
tun
Es ist klar, daß ganz unbedarfte Leute, wenn auch nicht ohne karmische
Voraussetzung, die auf diese Macht stoßen mit ihrem Gepränge und
einer erleuchteten Energie, die der Geisteshaltung der Bodhisattvas entspringt,
mit ihr einen Austausch auf der Ebene der Energie beginnen. Fühlst du
dich hingezogen, nimmst du an dieser Energie teil. Du wirst selbst Träger
von Macht. Sagen wir, du spürst zunächst einmal die große
Kraft, die hinter den Lamas steht, und die sie auf ihr Umfeld übertragen.
Ergibst du dich dieser Kraft, mußt du etwas tun. Du kannst für
dich allein meditieren. Aber das reicht nicht, der Überschuß ist
zu groß. Du kannst buddhistische Zentren aufbauen, eine Zeitung gründen,
kurz öffentlich wirksam sein, und du erreichst die Leute.
Die Tibeter sind
Profis. Sie sind in Herrschaftsfragen, die Machtfragen sind, geschult schon
seit Jahrhunderten. Shakyamuni selbst, der historische Buddha, kam aus der
herrschenden Klasse, adeliger Herkunft und war ein überaus weiser Politiker.
Das kann man bei Wolfgang Schumann, einem Indologen und Diplomaten, in ,,Der
historische Buddha“ nachlesen. Und Tibets ungekanntes Gesicht lese man
am besten in Tsewang Pembas „Tibet im Jahr des Drachen“ nach.
Nun wer sind die
Leute. Wer nutzt die große Energie, die von den Lamas herüberkommt.
Es sind nicht immer die allerbesten. Diejenigen, die sich für eine Idee
begeistern und eine weltanschauliche Hypothek, die sich schließlich
in einem buddhistischen Zentrum materialisiert, übernehmen und bei der
Stange bleiben (müssen), sind hartgesottene Burschen. Den Kern der buddhistischen
Sangha ficht nichts mehr an. Sie sind Profis. Sie beherrschen den Parteigeist,
der aus jeder Organisation, die sich etabliert und halten will, spricht. Moralisch
und intellektuell nicht besonders anspruchsvoll, das kennzeichnet auch den
Kern der Sangha. Sie arbeiten für den Karmapa oder sonst einen Guru –
vielleicht für Osho Rajneesh, – in Wahrheit geben sie einem kollektiven
Ich Ausdruck, der das Ganze stützt. Der Buddhist, der organisiert arbeitet
im Rahmen der buddhistischen Sangha, vielleicht sogar mit ihr abrechnet, vertritt
den Standpunkt seiner Partei unter Hintanstellung seines eigenen Ich. Wie
könnte er auch anders. Der Buddhismus lebt doch von der Überwindung
des Ich. Nur, was auf weltlicher Ebene dabei herauskommt, ist ein kollektives
Ich mit seinen Vorlieben und Abneigungen, ein politisches Ich.
Dies muß von
den Aspirationen der Lamas und Gurus nicht einmal gewollt sein. Sie geben
die Kraft, und die Menschen arbeiten. Selten findet sich ein Kreativer unter
ihnen, die man scherzhaft Tempelsklaven nennt, was liegt näher als sich
mit dem kollektiven Ich verbinden. Und es gibt Tragödien... bei der Überwindung
des Ich... Ob es in Tibet anders gewesen ist?
„Heroen in der Schlacht – Gedeihen unter ihresgleichen.“ (Nagarjuna)
General in Deutsch-Nepal
Ein General stand an meiner Wiege
sprach, es ist ein schönes Kind
es wird ein Mann wie ich ihn liebe
Gouverneur vielleicht in Deutsch-Nepal
Ich bin geboren im Land der Kriege
bemühe mich ein Held zu sein
doch die Siege, die lassen auf sich warten
Vielleicht irrte sich der General...
(Amon Düül II)
Furchtbar wird es erst, wenn die Lamas unter sich zerstritten
sind. Um die Führung der Karma Kagyü Sangha tobt offenbar der Machtkampf.
Sogar der Dalai Lama gibt das zu (Cabezón ,,Die Gespräche in Bodhgaya“,
1989) und spielt es herunter. Aus Rumtek, dem Karma Kagyü Hauptquartier,
ergehen die Bitten um Einheit, die Sangha möge sich von Spaltern nicht
verführen lassen.
Die Sangha ist aber
ein Energiekörper, und wenn die Harmonie gestört wird, pflanzt sich
das wie eine Welle fort. Und da haben wir den Streit. Die Sangha twistet.
Das Bodhisattva-ldeal
Es gibt auch einen tiefen spirituellen Widerspruch im Buddhismus. Das Bodhisattva-Ideal
ist erst lange nach dem Tode des Buddha zur die Mehrheit beherrschenden Lehre
geworden. Es besagt, daß der Einzelne sich nicht befreien kann, ohne
alle Menschen und fühlenden Wesen zu befreien. Der Bodhisattva verzichtet
so lange auf Nirvana, bis alle Wesen befreit sind. Solange bleibt er im Existenzkreislauf,
um den Wesen zu helfen. Erst wenn keiner mehr leidet, geht auch er –
jenseits und inkarniert sich nicht wieder. Wir, die wir leiden, können
sicher sein, daß uns ein Bodhisattva begegnet.
Das hört sich
wunderbar an und kommt offensichtlich der breiten Masse und ihren Wünschen
entgegen. Der Buddha selbst hatte das nicht vor. Er war am Ende von Karma
und Affekt. Für ihn gab es keine Wiedergeburt mehr, da es für ihn
keine Gründe mehr gab.
Die Rede von mir und den anderen, von Ich und Du ist natürlich aus einer
dualen Sichtweise gezeugt. Buddhistisch betrachtet, ist es doch so, daß
die Welt, das Leben phänomenaler Ausdruck meines Karmas ist, der Spiegel,
in dem meine Lebensgeschichte abrollt. Die anderen, die zu befreien sind,
sind die Projektionen meines eigenen Ichs, meines Geistes. Ich bin nicht erleuchtet,
ich leide und deshalb seid ihr da, der Spiegel meines Ich. Ich höre auf
zu leiden und meine Umwelt verwandelt sich.
Es wird viel von
den zwei Wahrheiten im Buddhismus gesprochen, von der absoluten, die kein
Karma zeugt, keine Handlung, wo nichts passiert, was traditionellerweise Nirvana,
Verlöschen bedeutet. Und der relativen Wahrheit, wo all das passiert,
was wir erleben.
Der Erleuchtete leidet nicht. Der wahrhaft Erleuchtete ist gar nicht zu finden.
Wirklich erwacht, bist du nirgendwo mehr wahrnehmbar und du siehst auch nichts.
Wie könnte also ein Erwachter das Leiden wahrnehmen?
Die da leiden und helfen, tun das, weil sie nicht erleuchtet sind. Im absoluten
Sinn. Sie tun es auch nicht um der anderen willen, die eine Ausgeburt ihres
projizierenden Geistes sind, sondern um ihrer selbst willen.
Das ganze Geschrei
über die Hinayanisten, die nur sich selbst befreien wollen, ist eine
artige Verdrängung – gelinde gesagt, eine künstlerische Bearbeitung
der Wahrheit. So läßt sich aber besser leben, wenigstens oberflächlich
betrachtet. Ich bin gespannt, was würde, wenn sich der Buddhismus, die
inkarnierten Buddhas das einmal eingestehen und entsprechend lehrten.
Es ist eine Schande,
daß man uns gelehrte Doktoren aus Tibet, realisierte Yogis aus Skandinavien
oder Kopenhagen vor die Nase setzt und sie ein abendfüllendes Programm
gestalten, ohne Wesentliches zu sagen.
Natürlich sind diese Abende herrlich, die Gruppenwärme, die exaltierte,
exotische Bewußtseinsschau. Aber inhaltlich, die Wahrheit, kommt gar
nicht zum Zuge.
Mir scheint, sie lehren uns den Stand der besseren Illusion, anstatt die Wahrheit.
Kurzfristig lebt man damit besser, vielleicht auch langfristig. Die buddhistische
Strategie zielt auf Wiedergeburt. Die armen Buddhisten, die hier heraus möchten,
die auch an die anderen nicht oder nur bedingt glauben, die die Instinkte
der Masse kritisch sehen und eine Menschenveredelung, wie sie der Kommunismus
wollte, als Sisyphosarbeit ansehen, das Bodhisattva-Ideal als Ideal und nicht
mehr betrachten, was machen die?
Sicher, man wird
mit Buddhas Hilfe besser wiedergeboren, wenn die Neigung besteht. Man lebt
besser, stirbt besser, reinkarniert... Aber die Wahrheit lehrt man uns nicht.
Ich komme mir manchmal vor wie in Kafkas ,,Amerika“, der Ort: Klasse
für gescheiterte Mittelschüler.
Ich kann mir eigentlich
nur einen Buddhismus der Liebe und der Weisheit denken, der sich von Grund
auf reformiert.
Politik sollte nicht von Ranküne, sondern von List, ok, vor allem aber
von Klugheit beherrscht sein. Die Tempelsklaven sollten auch etwas andere
Interessen haben als Science Fiction und Disco. Wo bleibt unser europäischer
Buddhismus. Haben wir keine Kultur?
Selbst Wagner hat im Geiste Buddhas gedichtet.
Von Wagner heute keine Spur, dafür platzen die Reifen, Mahamudra und
Jet Set Kultur. Die Konkurrenz...
Wer sich’s
leisten kann, bleibt zu Hause. Ein buddhistisches Zentrum, eine Oase, ein
Ort der Kreativität – von mir aus auch im Zelt. Aber Buddha drohte,
all diesen Kultstätten die Firststange zu brechen.
Die Welt, das Haus, das Ich,
das ist ein und dieselbe Struktur.
Wir können froh sein, daß es buddhistische Zentren gibt. Und solange wir nicht erleuchtet sind, leiden auch die andern.
Dieser Devadatta!
Ole Nydahls neues Buch ,,Über alle Grenzen“ ist im August 1990 im ‚Joy’ Verlag erschienen. Es bleibt zu hoffen, daß es nicht nur eine Retrospektive wird.
Thomas Illmaier
Teil 1: Esoterik und Wissenschaft, Sept.-Dez. 1990, S. 37-40.
Teil 2: Esoterik und Wissenschaft, Jan.-April 1991, S. 11-15.