DIE
SIRENEN DES ODYSSEUS
Es war die Zeit, als die Hippie-Bewegung sich langsam in
ihre Bestandteile auflöste. So entstanden Die Grünen und das New
Age. Politik, Musik, und im Hintergrund winkte Albert Hofmann noch einmal
mit seiner legendären Papiersonne, die die psychedelische Revolution
in Gang gesetzt hatte. Wahrlich, der Mann hatte die Welt verändert.
Einer, der aus demn Strom auftauchte und nach neuorientierung suchte –
denn ein LSD Schlucker wollte er auf keinen Fall bleiben – war Peter
Michael Hamel: Komponist, Klaviervirtuose und spirituell, sehr spirituell
angehaucht. Wir hörten ihn damals als Gemeintipp. Seine Musik wurde auf
professionellen LSD Workshops benutzt, und Ärzte und Psychotherapeuten
sangen seine Lieder.
Ich hörte damals
„Storm over Asia“ oder die legendäre Komposition „Nada“.
Nada heißt eigentlich Nichts. Eine phrygische Tonart, die für unsere
Ohren fremd klingt, das sonore, tiefe Orgelspiel, die sich wiederholenden
Klangfiguren, eine echte Trancemusik, wie für den Rausch geschaffen.
Es folgten Kompositionen wie „Transpersonal“. „The Yellow
Sound“ und andere, die sehr stark von Indien, der Musik der Hindus,
aber auch von anderen kulturellen Traditionen, die sich in der Weltmusik spiegeln,
beeinflusst sind.
Wie Peter Michael
Hamel in seinem Buch „Durch Musik zum Selbst“ klarstellt, ist
er kein New Age Komponist: „Ich distanziere mich seit Jahren öffentlich
von diesem kommerziellen, nivellierenden Modetrend und versuche, mich abzugrenzen
gegen Heilslehren, die fragwürdig und irrational sind“.
Der US-Import, der
auch bei uns die Märkte bestimmt, sei „ein Markt der spirituellen
Trittbrettfahrer“, genannt „die New Age Musik Szene“. Eine
seichte und oberflächliche Musik, die man zu Duftlampen und heiteren
Gesichtern im Hintergrund spielen lassen kann. Ähnlich wie wir das aus
den Supermärkten kennen, wenn die Leute shopping gehen. Ähnlich
gibt’s ja ein spirituelles Shopping, das eine Zerfallserscheinung ist.
Im alten Rom blühten die Kulte, gerade im Zugrundegehen des alten Reiches.
Peter Michael Hamel
wandte sich, mehr und mehr unzufrieden geworden über die Entwicklung
der Musik, seit den 1980er Jahren mehr und mehr der Klassik zu. Sein „Violinkonzert“,
„The Arrow of Time“, „Die Lichtung“ und andere entstanden.
Der Trend jedoch war auch schon festgelegt. Denn „klassisch“ komponiert
heute niemand mehr. Vielmehr sind Atonalität, ja „Antitonalität“
(Otto Klemperer) federführend, wenn der Komponist im ausgehenden zweiten
Jahrtausend die Gehöre und Ohren der Zeitgenossen anschleicht.
Der Eklat setzte
dann mit der „Endlösung“ ein. Mit dieser Komposition setzte
sich Hamel mit der Shoa, dem Holokaust, der Judenvernichtung auseinander und
– bekannte sich öffentlich als Christ. Ich fragte ihn nach der
Uraufführung: wie es möglich sei, dass sich ein moderner Komponist
und Weltreisender, der Asien bereiste, die fernöstlichen Traditionen
studierte und bei indischen Gurus zu Gast weilte, Christ bleiben und sich
auch öffentlich zu dieser Religion bekennen könnte? Ich fragte ihn
weiter, welchen Einfluss Cannabis und LSD auf seine Musik gehabt hätten.
Die Antwort, die er mir gab, war typisch und zeitgemäß. Er hatte
seine Karriere im Auge: Er stehe kurz vor seiner Beamtung. „Deshalb
will ich mich auch nicht als Drogenkonsument vor 25 Jahren (!) selbst outen
(lassen).“
Peter Michael Hamel
ist heute Professor für Kirchmusik in Hamburg. Aber seine Kompositionen
sind unvergesslich, weil sie einen jeden Trip bereichern. Seine Musik enttäuscht
nie. Sie dient nach wie vor als Therapeutikum, schwierige Bewusstseinszustände
neu zu ordnen und heilsam auszurichten. Peter Michael Hamels Buch „Durch
Musik zum Selbst“ enthält unschätzbar kostbares Material,
dazu Statements, die so frei und ungezwungen sind, dass sie einen Aufheller
für jede dunkle Stunde darstellen und ungemein lehrreich sind. Was er
über Pink Floyd, die Beatles, Tangerin Dream und andere in ihren besten
Jahren psychedelische Musikgruppen schreibt, hat Gültigkeit und wird
sie behalten.
Thomas Illmaier
Zschr. Grow, 4/2000, S. 18-19.