Die oberen Viertausend
Michael Hartmann sondiert die Eliten
Michael Hartmann ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt und beschäftigt sich dort mit gesellschaftlichen Eliten, Schwerpunkt Europa. In seinem Buch „Eliten und Macht in Europa“ (2007) breitet Hartmann umfängliches statistisches Material aus und deutet es für den Laien. Nach Hartmann sind es noch immer die Kinder aus Akademikerfamilien, die in höchste Ämter des Staates und in Spitzenpositionen der Wirtschaft gelangen, nicht die Kinder aus Arbeiterfamilien oder der sog. Mittelschicht.
Michael Hartmann schätzt, dass in Deutschland ca. 4000 Personen als Kern der deutschen Eliten darüber entscheiden, welche Richtung Deutschland nimmt; denn diese Eliten haben die Macht, die Entwicklung der deutschen Gesellschaft maßgeblich zu beeinflussen. Zur deutschen Elite gehören demnach die Spitzen der Wirtschaft, der Politik, der Justiz und der Verwaltung.
Michael Hartmann leistet zur Diskussion über Wert und Güte der deutschen Demokratie einen entscheidenden Beitrag. So schreibt Hartmann in seinem genannten Buch „Eliten und Macht in Europa“, S. 48 über die deutsche Justiz, dass sie „nicht einen einzigen ihrer Standesvertreter nach 1949 wegen seiner Urteile unter den Nazis strafrechtlich belangte“ – eine Aussage, die Zweifel an der rechtsstaatlichen Verfasstheit der deutschen Demokratie aufkommen lässt; denn wenn die Justiz als „Säule der Demokratie“ einen solchen Knacks weghat, ist sie nicht in der Lage, das Haus der Demokratie zu tragen. Was sind das für Staatsjuristen, die ihre Kollegen der Nazi-Zeit so kalt amnestierten? Es sind die selben Staatsjuristen, die auch bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts versagen, was die Tageszeitung DIE WELT, 22. April 2008 unter dem Titel „Triumpf der Stasi-Täter“ enthüllte.
Wortführer – tot oder lebendig – dieser deutschen Justiz, an deren NS-Erbe Prof. Hartmann erinnert, bleibt der NS-Marinerichter und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Hans Filbinger, dessen berüchtigter Satz - „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ - die rechtliche Grundlage der kalten Amnestie für die NS-Täter in der deutschen Justiz bis heute ist. Filbinger fand sogar, dass der NS-Staat doch eigentlich auch ein „Rechtsstaat“ gewesen wäre, weil es damals doch auch Justizminister, Richter, Staatsanwälte, Gesetze und deutsche Beamte gegeben habe.
Das Verhältnis zwischen Justizminister und Justiz, das in der Demokratie doch eigentlich auf Gewaltenteilung beruhen sollte, karrikiert der wegen seiner Recherchen zu den Todesumständen des CDU-Politikers Uwe Barschel bekannt gewordene Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille in der Aller-Zeitung, 11. Okt. 2007 so, Wille wörtlich: „Wie soll man zwischen Politik und Justiz trennen? Im Justizministerium laufen die Fäden ja zusammen.“
Ausgerechnet dieser deutschen Justiz, die nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wichtige Befugnisse an die Politik abgeben musste, weil die Politik damals – völlig zu Recht - nicht das erforderliche Vertrauen in die Justiz besaß, verleiht der Schleswig-Holsteinische Justizminister Döring (SPD) neuerdings wieder ihre alten Privilegien. Döring stärkte die Selbstverwaltungsrechte der Justiz, die ohnehin wie ein Staat im Staate nahezu unangreifbar ist, noch mehr und bewilligte ein zusätzliches umfangreiches Budget i.H.v. 250 Mio. Euro jährlich, was Döring dem Radiosender NDR.Info, 4. Juli 2008 damit begründete, dass wir im Gegensatz zu 1949 „Vertrauen in die Justiz heute haben können.“ In Wahrheit erkaufte sich Döring und mit ihm die Große Koalition in Kiel das Wohlwollen der Justiz, die wegen ihrer Verstrickung in die NS-Verbrechen nicht nur bis auf den heutigen Tag schwer belastet ist sondern als ebenso schwer befangen gelten muss, gerade wenn es um den wunden Punkt der deutschen Geschichte, das NS- und SED-Unrecht, geht.
Thomas Marcus Illmaier, 2008
Bilder mit freundicher Genehmigung des Campus Verlages:
Dank an den NDR für weitere Quelle:
NDR.Info, DER TALK, 16. Sept. 2007, 16.05 Uhr
Gabriele Heise im Gespräch mit Prof. Michael Hartmann