Thomas
ILLMAIER
Siglinde Kallnbach: Schamanistische Performance
Buddha, so überliefert die Legende, zeigt den Mönchen
auf dem Geiergipfel eine Blume – Kashyapa, der Schüler, lächelt
dabei: Er wird die Lehre erben, Führer der Mönche sein. Nach über
2000 Jahren gelangen Blumen von hohem Symbolwert in Buddhas Land der aufgehenden
Sonne, nach Japan. Goto, Chef des umsatzschweren Yasuda Versicherungskonzerns
kauft 1987 VAN GOGHs »Sonnenblumen« zum damaligen Rekordpreis
von 56 Millionen Mark. Siglinde KALLNBACH, Aktions- und Performancekünstlerin,
regt sich vehement dagegen auf: Vor dem Hochhaus der Yasuda Versicherungsgesellschaft
in Tokio malt sie »Blüten für van Gogh«. Die Blüten
verwandeln sich, unter ihrer Hand werden sie zu Totenmasken des Künstlers,
der sich ein Ohr abschnitt und zu Lebzeiten kein Bild verkaufte. Was wollen
die Japaner mit den Sonnenblumen? Es heißt, sie meditieren vor wichtigen
Geschäftsabschlüssen darauf; die Blumen in ihren vibrierenden Kraftfeldern
strahlen Energie des Universums aus. Für Geld ist das alles zu haben,
ganz privat. »Wann wird«, so fragt Siglinde KALLNBACH in der Presse
der japanischen Offentlichkeit, »Herr Saito VAN GOGHs Ohr kaufen?«
(Herr Saito, japanischer Großunternehmer hatte VAN GoGHs »Portrait
des Dr. Gachet« für 132 Millionen ersteigert.)
Siglinde KALLNBACHs
Protest gegen die Vereinnahmung der Kunst – nicht etwa durch das Leben
sondern – durch das Geld ist im Rahmen ihres Gesamtkonzeptes künstlerischer
Arbeit verständlich. Es beinhaltet starke schamanistische Züge,
mit denen sie situative Gegebenheiten »anbohrt«, um das Wesentliche,
worauf ihre Kunst zielt, am Menschen darzustellen. So könnte man sagen,
ihr ginge es mehr um VAN GOGH als um seine Bilder. Sie glaubt, hätte
VAN GOGH zugesehen, wie sein Bild verkauft würde, um der Macht des Geldes
zu dienen, hätte er sich wahrscheinlich auch das zweite Ohr abgeschnitten.
In ihrem Kunstwerk »Feuertor« bezog sie die Einwohner von Kleinsassen
mit ein, als sie in Anlehnung an ein mittelalterliches Schadenszauber-Ritual
das Tor mitsamt der Opfergegenstände, von den Einwohnern gestiftet, in
Flammen aufgehen ließ. Ihre Aktionen sind nicht ungefährlich, der
Umgang mit den Elementen muß erlernt und eingeübt werden. Als Schamanin
trat Siglinde KALLNBACH auch in Kassel auf. Im Theater des Fredericianums
führte sie ihre Performance Ei des Phönix auf. Sie versetzt sich
in Trance, befragt die Elemente, kommuniziert mit ihnen. Sie färbt ihren
nackten Körper ein, verschließt ihn mit Teer, schaufelt aus einer
Amphore Gänse- und Hühnerfedem, mit denen sie sich ganz und gar
einhüllt. Sie beginnt den schamanistischen Flug –: »Schein
... hindurch aus der düsteren Asche sich in die Klarheit der Lüfte
erheben ... hindurch.« Dazu gibt es Videogroßprojektion, Soundcollage,
die eigene Stimme.
Und was für
eine eine! Ein Schrei, der ins Mark trifft, der eine Urangst trifft, die sonst
verdeckt ist, bemerkt Marianne PITZEN, Direktorin des Frauenmuseums Bonn,
die in dem Hexenschrei der Siglinde KALLNBACH »Warnung und Fanal«
hört; Ei des Phönix, die Schale bricht.
Mitunter geht sie
auch auf das Publikum los mit einer »blutgetränkten« Federboa,
schreiend, während das Publikum, ebenfalls schreiend auseinanderstiebt
(Nürnberg 1990).
Am Ende ihrer Performance kehrt Ruhe ein, der Urzustand ist erreicht, Klarheit
vermittelt sich, nachdem die Angst überwunden ist. Gelegenheit, ein Ritual
der Siglinde KALLNBACH mitzuerleben, gibt es nicht so oft. Aber im Angermuseum
Erfurt, Sommer 1996 kann man dabei sein.
Jahrbuch für Ethnomedizin und Bewusstseinsforschung, 4/1995, S. 263-266.
Foto: Siglinde Kallnbach in Ihrer Performance "Ei des Phönix", Theater im Friedericianum, Museum Friedericianum Kassel, 1992. Abb. im Buch: "Siglinde Kallnbach: Performance", dalebo Verlag, Köln 1995, ISBN 3-9804380-1-5, Foto: M. Hühn.