Anish KapoorAnish Kapoor in der Kunst-Station Sankt Peter Köln
Eintauchen in eine andere Welt

Anish Kapoor ist in Deutschland noch weitestgehend ein Unbekannter. Er stammt aus Indien und lebt in London. 1990 gestaltete er den Britischen Pavillion auf der Biennale in Venedig. Anish Kapoor ist Bildhauer. Sein Werk ist stark von den Weltreligionen beeinflußt, vor allem vom Buddhismus. Zentrale Idee seines Schaffens ist die Präsentation von Gegenwart, die über das individuelle Ich des Betrachters wie des Künstlers hinausgreift. Zur Gegenwart erwachen: dazu sollen seine Objekte und Installationen führen.
Seit dem 16. November präsentiert die Kunst-Station St. Peter Köln mehrere großformatige Spiegel von Anish Kapoor. Die Kunst-Station avancierte im Laufe von nur wenigen Jahren zu einem der führenden Ausstellungsorte von internationalem Rang. Der Leiter der Kunst-Station, der Jesuitenpater Professor Friedhelm Mennekes, präsentierte bereits Werke von Francis Bacon, James Brown, Alfred Hrdlicka, Jenny Holzer und vielen anderen Künstlern unserer Zeit.
Anish Kapoor fertigte exklusiv für die Präsentation in St. Peter (wo übrigens Rubens „Kreuzigung Petri“ ganzjährig zu sehen ist) drei Teleskopspiegel an, die – konkav in Edelstahl getrieben – über dem Altar und in der Krypta der St. Peter Kirche hängen. In der Mitte der durch den Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Kirche ist ein Spiegelloch ausgehoben, in das der Betrachter mit seinem Blick spiegelverkehrt nicht zu sinken, sondern aufzustreben scheint. Die Teleskopspiegel verzerren das visuelle Geschehen derart, daß völlig neue, sich der Beschreibung entziehende Wehen entstehen: ihre Konstitution und Perspektive verändern sich mit jeder Bewegung des Betrachters.
„Es ist ja erstaunlich“, sagt Anish Kapoor im Gespräch mit Friedhelm Mennekes, ,,daß Objekte ähnliche Räume erschließen können wie das menschliche Bewußtsein.“ In der Betrachtung der Spiegel und ihrer Widerspiegelungen – im Falle der Krypta sind zwei Spiegel spiegelsymmetrisch einander gegenüber angebracht – entstehen tatsächlich Bewußtseinswelten, die eine Gegenwart kreieren, die an alles mögliche erinnert und doch in der vergegenwärtigten Leere des Scheins den Schein als Kunst zu erkennen gibt. Die rauschhafte Komponente in der Visualisierung ist überwältigend, besonders wenn man sich zwischen die Spiegel stellt und den Blick wandern läßt, den Körper bewegt oder den Standpunkt verändert: Kaskaden von Lichtspiegelreflexen, Welten wie aus dem Jenseits entstehen.
Anish Kapoors Kunst ist ein Versuch, die Sprache des Expressionismus im Jetzt neu zu beleben. In den Spiegeln von Kapoor entsteht das, was der Expressionismus in seiner Zeit versprach: den Bruch mit der Form bei gleichzeitiger Freisetzung neuer, alter, edler Gefühle. Die Spiegel von Kapoor kreieren ein neues Gegenwartsbewußtsein, indem sie den transzendenten Charakter des sich gegenwärtig ereignenden Bewußtseins in seinen unendlichen Kammern und Welten bewußt machen und ins Bild heben. Zudem raunen die Spiegel, in die man auch hineinsprechen kann. Das Wort wird vollkommen verfremdet: Widerhall aus den Spiegeln wie aus einer anderen Welt. All das gehört zur Gegenwart, die als Ganzes leer und doch immens fruchtbar ist.
Thomas Illmaier

Kunststation St. Peter Köln in Zusammenarbeit mit Lisson Gallery London zeigt die Spiegel von Anish Kapoor 2. Februar 1997. Dienstag bis Samstag 11 bis 17 Uhr. Sonntag 13 bis 17 Uhr: Leonhard-Tietz-Straße 6, Tel. 0221-921 3030.

Junge Freiheit, 50/1996, S. 15. Bild: Spiegel von Anish Kapoor.


 

 

 

 

 


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