ANDY
WARHOL SUPERSTAR
von Thomas Illmaier
Eigentlich hieß er Andrew Warhola, er war tschechischer
Herkunft und sollte nach schwierigen Kindertagen, wie es die Einwanderung
einfacher tschechischer Arbeiter nach den USA mit sich brachte, zum größten
Künstler US-Amerikas im 20. Jahrhundert werden.
Andy Warhol (1928-1987)
verdanken wir neben Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg die POP ART,
mit ihren Sujets in schreiend bunten Farben und dem fürs Showbusiness
aufgemotzten Einerlei des täglich banalen Alltags. Andy Warhol schuf
die POP-Ikone, nicht nur seine LSD-Marilyns, sondern auch die Campbell’s
Suppendosen und die Coca Cola Flasche als stilechtes Konterfei der im Konsumrausch
befangenen, aber auch beflügelten Bürger US-Amerikas, ja der Welt.
Hinter Andys Konsum-Ikonen steckt nichts, außer dass sie dynamisch und
schön sind. Man könnte mit Goethe sagen: „Man suche nur nichts
hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre.“ Andy Warhols
Bilder wecken keinerlei Emotionen, sie sind, was sie sind.
Andy Warhols Drucke,
Bilder und Fotos entstanden in der Factory, wo er mit einer Reihe ausgeflippter
Leute hauste, die alle in seine Arbeit als Werbegraphiker und renomierter
Künstler New Yorks einbezogen waren, oft ohne Lohn, nur der Sache und
ihrer Idee hingegeben, die allerdings einige der Warhol Mitarbeiter zu Superstars
machen sollte.
Nach der Graphik,
der Malerei und dem Foto widmete sich Andy dem Film. Es gibt keine verrückteren
Filme als seine. In HAIRCUT (1963) z.B. zerpflückt der Stricher, der
die Hauptrolle spielt, ganz ungeniert etwas Marihuana, um es in seiner Pfeife
zu rauchen. Dabei fummelt der Friseur an seinen Locken herum. Es gibt sonst
keine Handlung, keinen Tiefgang, und es ist ganz einfach banal. Trotzdem sind
Andys Filme alle irgendwie interessant und mitunter furchtbar peinlich, wenn
er dem heuchelnden Amerikaner unter die Gürtellinie schaut. Gedehnte
Augenblicke. Sein Film EMPIRE (1964) mit seinem achtstündigen Fokus auf
dem Empire State Building zeigt dem Betrachter nichts anderes, ab und zu eine
Wolke, die einen Schatten auf den Wolkenkratzer wirft, dann wird es dunkel,
die Lichter gehen an. Ein Film zum Meditieren, der die gesamte Kunstkritik
aus dem Häuschen trieb. EMPIRE wurde zum meistdiskutierten Film seiner
Zeit!
Andy Warhol war schwul,
seine Aktionen halfen, Schwulsein salonfähig zu machen. Zur Schwulenemanzipation
- gay wurde das stolze Schlagwort der selbstbewussten Schwulen New Yorks und
schließlich ganz Amerikas - trug er wesentliche Impulse bei. Er identifizierte
sich mit den Schwulen und verschaffte ihnen öffentliche Reputation.
Andy Warhol, auf
den 1968 ein Schusswaffenattentat verübt wurde, das ihn fast ins Jenseits
beförderte (während der Notoperation war er zweimal klinisch tot)
nahm all das vorweg, was uns heute so geläufig ist: Den POP, den Punk;
die ersten Lightshows in den Diskos dachte er sich aus. In den Diskos wie
dem DOM in New York war er zu Haus. Hier fand er seine Superstars. „Hier
war alles psychedelisch“, erinnert sich Rupert Smith, ein Freund Andys,
„es gab rosarote Nischen, und die Lichter spielten völlig verrückt.“
Andy schwärmte: „Die Leute leben dort. Sie tanzen dort. Sie trinken
dort. Sie schließen Freundschaften dort. Sie lieben sich dort. Sie trennen
sich dort wieder. Sie werden dort Stars.“ Hier war jeder ‘mal
‘ne Viertelstunde Superstar, das berühmteste Bon Mot der „Sphinx
ohne Geheimnis“ Andy Warhol.
In seiner Factory
gingen die Künstler ein und aus. Das waren John Lennon, Salvador Dalí,
Tina Turner, Mick Jagger und so viele andere des internationalen Jetsets,
die ihre Kunst reich und berühmt gemacht hatte. Er selbst, Warhol, blieb
ein Einsamer, ein Einzelgänger. „Er saß meist da wie in einer
Zen-Trance oder wie ein Buddha, und nichts, aber auch gar nichts konnte ihn
aus der Fassung bringen (Charles Rydell)...“ Das eben macht ihn zugleich
so peinlich, weil er so abgebrüht war, Filme, Bilder überhaupt zu
zeigen, die das bigotte, konservative und aggressive Amerika, wenn nicht aus
den Angeln hoben, so dann doch bis in die sensibelsten Nervenenden hinein
schonungslos entlarvten. Er war amphetaminsüchtig, arbeitete wie ein
Pferd und wurde steinreich. Er brachte Musikgruppen wie die Velvet Underground
ins Geschäft, die er förderte, und wenn Lou Reed „Heroin“
auf der Bühne anstimmte, dann tanzten seine Factory Knaben eindeutige
Tänze dazu, der Saal kochte.
Was dabei herauskam,
war immer wieder das Nichts; denn was ist die Substanz von Konsum, auch Sucht
und jener POP-Kultur anderes als die Illusion des Regenbogens - hinter dem
Nichts, nur die Leere, wenngleich sie sehr hübsch aussehen kann. Und
das Frappierende, dass da eigentlich nichts ist, nichts in diesen Bildern,
nichts in dieser Welt, die in ihrer Oberfläche, die uns Andy Warhol zeigt,
von einer narkotisierenden Schönheit ist, aber (und nicht nur für
Andy) so langweilig ist, dass sie zum Philosophieren anstimmt - also mitunter
außerordentlich produktiv sein kann.
Das Klischee geht
in Serie, soll Andy Warhol von seiner Kunst gesagt haben: Viele Marilyns,
viele Maos, viele Suppendosen, die endlose Wiederholung... Aber verbirgt sich
darin nicht ein ewiger Rhythmus? Nach den Rhythmen der Stabtrommel reist der
Schamane in die Jenseitswelt. Andy Warhol versetzte ein Millionenpublikum
in Trance, und als Voyeur machte er noch die banalste Mitteilung zum Superding,
hob sie heraus, und ließ sie als Hologramm in dieser Welt glitzern.
Andy Warhol hat die
Welt verändert. Er gehörte zum Epizentrum einer Kulturrevolution,
zu dem die Beatles, die Rolling Stones, Lou Reed oder Bob Dylan die Musik
machten. Von Warhol gingen Wellen aus, die Amerika, die Welt in einen Rausch
versetzten, der in den 60er und 70er Jahren zum Höhepunkt geriet und
seitdem noch immer sein Echo zu uns herübersendet. Ein Taxifahrer erinnerte
sich kurz nach Andys Tod 1987 an den großen Schamanen, der sich nicht
scheute, seine Bilder multipliziert als Tapetenmuster zu verkaufen: „Er
war immer von schönen Frauen in Seide, Schmuck und Federboas umgeben
(zumeist seine weiblichen Superstars aus der Factory). In den Straßen
New Yorks war er so deutlich sichtbar wie die Verkehrsampeln. Mögen die
Ampeln für Andy immer auf grün stehen.“
Bilder
1) Andy Warhol: Selbstbildnis, 1986.
2) Andy Warhol: Selbstbildnis, 1981/82.
3) Andy Warhol: Holly Salomon, 1966.
Zschr. Grow, 2/2000, S. 56-58