Ausstellung:
Von der Heydt-Museum Wuppertal. Wiener Kunst von 1900.
Jenseits der künstlichen Paradiese
Bis in den Oktober hinein zeigt das Von der Heydt-Museum
in Wuppertal Schätze aus der untergegangenen Donaumonarchie. Der Vielvölkerstaat
Österreich-Ungarn, der an seinen inneren ,,völkischen“ Widersprüchen
zerbrach und den Ersten Weltkrieg nicht überlebte, zeigte um 1900 noch
einmal alle Attribute der Pracht: Kunst, Musik, Architektur erlebten eine
Blüte, wie sie in Österreich nicht wiederkehren sollte.
Vorausgegangen war
die Periode, die mit dem Namen des Hofmalers Hans Makart (1840-1884) verbunden
ist. Makart brachte es fertig, mit seinem ausladenden, pompösen, aber
doch malerischen Geschmack nicht nur Kaiserin und Kaiser, sondern ganz Wien
zu bezaubern. Sein Atelier wurde schon zu seinen Lebzeiten zum Museum, in
das jeder zur festgesetzten Stunde Einlaß fand. Makart entwarf sogar
die Dekoration für das Schlafzimmer der Kaiserin Elisabeth – ein
natürlich sehr delikates Unternehmen – und hatte Erfolg, weit über
die Landesgrenzen hinaus. Im Wirken dieses ,,Schönheitsdekorateurs“
– so Hermann Broch in seiner scharfsinnigen Studie ,,Hofmannsthal und
seine Zeit“ – fanden das Bedürfnis dieser Zeit nach Dekorativität
im Allgemeinen und die spezifische Musik- und Theatertradition Österreichs
im Besonderen ihre reinste und schönste Ausprägung. Gleichwohl handelte
es sich um Eklektizismus reinsten Wassers: falscher Barock, falsche Renaissance,
falsche Gotik, kurzum: ein ,,Un-Stil“.
Diese imitatorische
Kunst war Ausdruck einer generellen ,,Unwirklichkeit“ im Kaiserreich.
Der alte Franz Joseph war die letzte Klammer der von zentrifugalen Kräften
zerrissenen Monarchie, aber nicht aufgrund seiner politischen Tatkraft oder
seines realen Einflusses, sondern weil er selber bereits in das Reich der
Symbole entrückt war: ,,Die Krone wurde als Institution ebenso abstrakt
wie der Staat, den sie verkörperte“, und die Hofloge, deren Einrichtung
auch noch den kleinsten Theatern aufgetragen war, um das Theatervergnügen
des Publikums in eine monarchische Werthierarchie einzuordnen, wirkte längst
,,als ein Symbol für das leergewordene Schema der monarchischen Barockgeste“
(Broch) und ließ Monarchie und Staat selber als theatralisches Dekorum
erscheinen.
Die Abkehr vom Pomp
und wohl auch vom Mief der Vergangenheit begann mit Gustav Klimt (1862-1918)
und seine Kollegen, die zwar von der zahlungskräftigen Wiener Gesellschaft
profitierten, aber ansonsten eigene Wege gingen. Klimt begann zunächst
verhalten impressionistisch, bevor er den Eros eines modernisierten ägyptischen
Stils mit den Blumen eines erdachten germanischen Frühlings paarte. Er
war der bedeutendste Vertreter des Wiener Jugendstils, dessen Malerei eine
mosaikartig kleinteilige Flächenornamentik kennzeichnete. Sie fand Resonanz
auch bei jenen, die in der Zeit des Fin de Siècle mit der Kunst eine
Heilserwartung verbanden und sie in Klimts oftmals ornamentaler Verschleierung
der harten Lebenswirklichkeit bestätigt sahen. ,,Ein Kunstwollen, das
alles Ornament kontaminieren läßt und ihm die Verfügung über
die Taten und Leiden einräumt“, urteilt Werner Hofmann. Klimts
Frauenporträts wirken bis heute, ihr Impuls ist noch in den Bildern von
Fritz Hundertwasser nachzuweisen.
Nach ihm, dem großen
Klimt, wie ihn die Kunstgeschichte nennt, und der der letzte Höhepunkt
des aristokratischen Europas in klassische künstlerische Formen goß,
kamen die eigentlichen Sezessionisten: Egon Schiele (1890-1918) und vor allem
Oskar Kokoschka (1886-1980). Sie leiteten den Expressionismus ein und wagten
es, aus den künstlichen Paradiesen hinauszutreten und die Zeit mit ihren
Wunden und Leiden zu dokumentieren. Bei Kokoschka (der von ihm porträtierte
Freund Adolf Loos erklärte, Kokoschkas Intention aufgreifend, jede ornamentale
Verbrämung zum ,,Verbrechen“) sollte die äußere Form
seiner inneren Bedingtheit entsprechen. Schiele, der von sich sagte: ,,Ich
bin durch Klimt hindurchgegangen“, hob sich immer mehr von dessen ,,klarer
Schönlinigkeit“ (Reinhard Steiner) ab. Seine Erotik wurde aggressiver
und hatte nicht die harmonische Selbstvergessenheit wie bei Klimt, sondern
wirkt isoliert und verkrampft. Weitere Inspirationsquellen waren der moderne
Ausdruckstanz einer Isadora Duncan sowie Erfahrungen mit Geisteskranken –
man denke auch an die Psychoanalyse des Wiener Siegmund Freud –, deren
konvulsivische Bewegungen er in seinen Bildern andeutete. ,,Tote Mutter“,
,,Tod und Mädchen“, ,,Schwangere und Tod“ oder ,,Agonie“,
heißen signifikant einige seiner Bilder aus der Kriegs- und Vorkriegszeit.
Als Brücke zwischen
Klimt und Schiele wiederum tauchten Malerpersönlichkeiten wie Richard
Gerstl (1883-1908, Selbstmord), der unter anderen beeinflußt war von
Edvard Munch und Van Gogh, sowie Koloman Moser auf, der mit anderen die ,,Wiener
Werkstätte“ gründete, von der aus die gesamte Lebenswelt in
ein ,,Reich der Schönheit“ verwandelt werden sollte. Sie waren,
wenn der Name nicht schon anderweitig vergeben wäre, echte Nabis, wirklich
Erleuchtete. Sie porträtierten sich vielfach selbst, wobei stets ein
Nimbus Haupt und Gesten der Künstler umstrahlt, ihre Augen scheinen nach
innen gerichtet und ergriffen, ja ekstatisch auf das innere Licht einer Gottheit
zu schauen. Krieg und Zusammenbruch erzwangen aber schon bald den Blick auf
die aus den Fugen geratene Welt, von der die Malerei bis heute geprägt
ist.
THOMAS ILLMAIER
Bild: „Bildnis Eduard Kosmak“ von Egon Schiele.
Junge Freiheit, 34/1997, S. 14.