Künstlerisch
motivierte Hoffnung sichtbar
im geschundenen Christus
Ausstellung von Carlo Mense und seiner Zeit im Von der Heydt-Museum
Wuppertal. Carlo Mense (1886-1965) stand dreißig Jahre
lang in vorderster Front der Avantgarde Malerei. Zwischen den Jahren 1909
bis 1939, denen die Ausstellung im Von der HeydtMuseum gewidmet ist, wandelte
sich Carlo Mense vom Extrem des Expressionismus hin zur Neuen Sachlichkeit.
Der Antritt der Nazi-Herrschaft bedeutete für viele so auch für
Carlo Mense das vorzeitige Ende einer hoffnungsfroh begonnenen Künstlerlaufbahn.
Ähnlich wie
die Künstler des ,,Blauen Reiter“, Kandinsky und Jawlensky, verband
auch Carlo Mense revolutionären Neuerungswillen mit tiefen religiösen
Gefühlen. Das kommt besonders in seiner ,,Madonna am Waidmarkt“,
einem Aquarell von 1918, zum Ausdruck. Explosiv, die Welt fliegt auseinander.
Im Zentrum dieses apokalyptischen Geschehens wird die Madonna und in Andeutung
das Jesuskindlein sichtbar. Ähnlich expressiv sind auch die Graphiken
,,Fronleichnam“ und ,,Kreuzabnahme“: im geschundenen Christus
wird zugleich die künstlerisch motivierte Hoffnung sichtbar.
Carlo Menses Kunst
wandte sich nach dem Ersten Weltkrieg der Neuen Sachlichkeit zu. Die Leute
hatten Hunger, die Revolution war man leid; der Krieg hatte so vieles zerbrochen,
was die Expressionisten in der Malerei prophetisch lange vor der Katastrophe
zum Ausdruck gebracht hatten. Carlo Mense fing an, die zerbrochene Welt wieder
Stück für Stück zusammenzufügen: Idealität plus Ernüchterung.
Diese Neue Sachlichkeit verband die Maler seiner Zeit. Mense hatte als Soldat
im Osten das jüdische Leben in den Dörfern und Städtchen Polens
und Weißrußlands kennengelernt. Seine Graphik ,,Judenpogrom“
faßt das Entsetzen noch künstlerisch expressiv in der Form des
Kristalls. Menses großes Gemälde ,,Rabbi S. und seine Tochter“
wirkt hingegen in der Nacht des geschlossenen Raumes tiefherzig abgeklärt.
Carlo Mense wußte
auch der Landschaft religiöse Dimensionen abzugewinnen. Seine Italienaufenthalte
waren, wenn sie lange genug dauerten, eine Sehschule für ihn. Sobald
er ,,alles“ sah, gediehen seine Landschaften zu Paradiesen, die wilde,
noch kaum von Menschen berührte Natur, wuchs zum Garten Eden. Hier könnte
einer stundenlang schauen, um das Ewige in Menses Arbeiten zu ermessen. (Die
Ausstellung ,,Carlo Mense und seine Zeit“ dauert bis 12. Dezember, der
Katalog kostet 48 Mark.)
Thomas Illmaier
DER WEG, 45/1993, S. 12. Bild: „Kreuzabnahme“, Original-Linolschnitt
von 1915.