Für
den, der sehen und verstehen kann
Ausstellung von Rudolf Schlichter
Rudolf Schlichter (1890 – 1955) ist ein treuer Chronist
seiner Zeit. Nach der Revolution 1918 bricht sich die Anarchie auch in der
Kunst Bahn. Schlichters Werke lassen sich in den tageskritischen Expressionismus
einreihen: Entfesselter Pöbel, Ausmordungen, Falschheit, Arm und Reich.
Aus dieser Zeit stammt das Bild „Wir sind alle Menschen“. Es zeigt
einen Bettler, der sich in ein Restaurant geschlichen hat, um dort am Tisch
der Reichen zu betteln. Der aufgebrachte Kellner, fassungslos, hinterdrein.
In den Zwanziger
Jahren verbündet sich der im katholischen Christentum erzogene Schlichter
mit dem Kommunismus, George Grosz, Heartfield und andere werden seine Freunde.
Der braune Terror beherrscht bereits die Straßen, als Schlichter sich
von der KPD abwendet und die Nähe der Nationalrevolutionäre sucht:
Ernst Jünger, Ernst Niekisch und andere. Jünger hilft ihm nach dem
Machtantritt Hitlers mehrmals aus der tödlichen Umklammerung. Schlichter
wird dennoch verfemt, inhaftiert, überlebt jedoch wie durch ein Wunder.
,,Angeekelt von der
Stuttgarter Gestapoatmosphäre“, so schreibt er, zieht er 1939 nach
München. In dieser Zeit hat sich sein Stil geändert. Glatt und schön,
fast heroisch seine „Neue Sachlichkeit“, die sicher auch den Nazis
gefiel. Kein Wort, besser kein Pinselstrich, der vom Abgrund, dem Morden,
dem Terror Rechenschaft abgibt.
Nach dem Krieg bricht es dann heraus, die ganze zurückgehaltene Depression
und Katastrophe. ,,Sie starb daran“, ,,Das Gemetzel“ und viele
andere Bilder, die die Vergangenheit Revue passieren lassen. Eine Ausstellung
für den, der sehen und verstehen kann.
Thomas Illmaier
Von der Heydt-Museum: Rudolf Schlichter - Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen. Ausstellung bis 1. März 1998. Geöffnet Di bis So 10 bis 17 Uhr, Do 10 bis 21 Uhr. Führungen finden jeden Sonntag um 11 Uhr statt. Führungstermine nach Vereinbarung unter Telefon 0202/ 563-6231. Der über 300 Seiten starke Ausstellungskatalog (Verlag Klinkhard & Biermann) kostet an der Museumskasse 49 Mark.
DER WEG, 4/1998, S. 12.
Foto: „Blinde Macht“ (1935-1937) von Rudolf Schlichter.