Arno SchmidtARNO SCHMIDT

Arno Schmidt gehört sicher zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern. Als Nachkriegsautor ist er zur Bewußtseinsforschung im Nachkriegsmilieu unentbehrlich. Er selbst bezeichnete sich als „Schriftsteller vom zweiten Range“, allerdings mit dem Zusatz, „wir haben keinen Mann ersten Ranges zur Zeit!“ Seine Frau tat alles, ihm diesen Rang zu verklären. Als der Autor wieder einmal klagte, er habe nur zehn Zeilen geschrieben, weil er so krank war, ästimierte sie: „Zehn Zeilen von einem Arno Schmidt, ist das etwa nichts?“ - Es war ihm nicht genug. Der Lebenswille der Nachkriegsdeutschen hatte den Sohn des Polizeioberwachtmeisters gepackt; er wollte Überdurchschnittliches leisten. Von Arno Schmidt sind heute fast alle Werke ediert, teils im Haffmans, teils im Fischer Verlag, die sich um die Rechte an diesem großen harten und unerbittlichen Deutschen, der nur für Sprache und Dichtung lebte, streiten. In seinen letzten beiden Lebensjahren wurde Schmidt vom Reemtsma Erben Jan Philipp gesponsert, der auch den Nachlaß nach dem Tode des Dichters sichtete und die Arno Schmidt-Stiftung ins Leben rief, der heute übrigens ein Kenner der Materie, nämlich Bernd Rauschenbach, vorsteht, der schon im Diederichs Verlag diffizile Werke wie die altnordische Lieder-Edda redigierte. Schmidt nun konnte sein ungeheures Arbeitspensum nur aufrechterhalten, indem er Medikamente nahm. Von Aspirin bis Opium finden sich entsprechende Anspielungen recht häufig in seinem Werk, das die Deutschen zeigt, wie sie in ihrer Banalität (wie alle anderen Weltenbürger auch) dem Alkohol und dem Nikotin frönen. Apodiktisch forderte Schmidt: Um „Überdurchschnittliches zu schaffen, muß sich jeder Künstler in den dazu erforderlichen überdurchschnittlichen Geisteszustand versetzen; mit was für Anregungsmitteln, ist s e i n e Sache!“
Zu seinen Aufputschmitteln zählte Arno Schmidt wie selbstverständlich auch Kaffee und Alkohol, der, so schrieb er, ihm „Zutritt zu der Stelle, wo die Worte lagern“ verschaffe. Außerdem nahm er Schmerztabletten, Beruhigungs- und Schlafmittel, mitunter bis zu dreißig Schlaftabletten pro Tag; dann vor allem Herzmedikamente sowie Antihypertensiva. Manche dieser Mittel, z.B. Psyquil, ein tranquillierendes Neuroleptikum, potenzieren die Wirkung der Analgetika, Opiate, Barbiturate und anderer auf das Zentralnervensystem wirkender Mittel. Psyquil wird in hohen Dosierungen auch gegen Psychosen eingesetzt.
Viele Medikamente tauchen, wie gesagt, im Werk von Arno Schmidt wieder auf. Er war tablettensüchtig und konnte ohne diese „Helfer“ nicht oder kaum mehr schreiben. Zudem wurde er herzkrank, zum Schluß auch wassersüchtig mit dick angeschwollenen Beinen. Nachdem er jahrelang sein Arbeitspensum mit stärkstem Nescafé und Schnaps (Underberg, Jamaica Rum, Steinhäger, Wodka etc.), vor allem nachts, aufrechterhalten hatte, dazu in immer höheren Dosierungen genannte Medikamente schluckte, Kuren und Krankenhausaufenthalte abgelehnt hatte, fällte ihn schließlich der Schlag, traf ihn mitten ins Sprachzentrum seines hypertroph beanspruchten Gehirns. „Hilf mir auf!“ lallte er, als seine Frau ihn in seinem Arbeitszimmer morgens am 31. Mai 1979 gegen neun Uhr auf dem Boden liegend fand.
Zu seinen Rauscherfahrungen und Schmerzträumen gesellte sich bei Schmidt ein bedeutendes Interesse an halluzinogenen Pharmaka. Bernd Rauschenbach hatte ihn einmal danach gefragt; Selbstversuche mit Halluzinogenen? Schmidt verneinte. In seiner kolossalen Fleißarbeit „Zettels Traum“ findet sich aber der explizite Hinweis auf ein Medikament, das „auf Mescalin=&=LSD=Basis“ aufgebaut ist, kurzzeitig wirkt, und erst in der Interaktion der Geschlechter seine volle Wirkung entfaltet. Es handelt sich um eine sogenannte „Paar-Droge“, deren charakteristische Wirkung die „Durchlässigkeit für Bilder“ potenziert. Die Einnahme der „Paar-Droge“, angeboten von der Sexualberaterin und Bordellbesitzerin im „gelehrten Ärztinnenkittel“, findet indes nicht statt. Weitere, möglicherweise psychedelische Szenen, i.e. Spaziergang in einem Gemälde, finden sich in Schmidts Roman „Abend mit Goldrand“.
Arno Schmidt sah sich zur Literatur verdammt und zur Isolation. Dazu kamen der Geldmangel, aus dem ihn erst genannter Jan Philipp Reemtsma befreite, und die Krankheiten bzw. Süchte, die sich gegenseitig potenzierten. Schmidt schonte sich nicht bis zuletzt. Für kleine Brotarbeiten wühlte er sich durch ganze Staatsarchive durch. Er gilt als revoltierender Grammatiker, der Sprachpartituren schuf. Es braucht seine Zeit, bis man seine Werke, z.B. „Das steinerne Herz“ mit Genuß lesen kann: „I n t e l l i g e n z l ä h m t , schwächt, hindert? : Ihr werd’t Euch wundern! : Scharf wie’n Terrier macht se!!“.

Literatur

Arno Schmidt: Bargfelder Ausgabe. Zürich: Haffmans, 1992.
- Zettels Traum. Frankfurt/Main: S. Fischer, 1986.
- „Wu Hi?“. Zürich: Haffmans, 1986.
- Lesen ist schrecklich. Zürich: Haffmans, 1997.
- Arno Schmidt liest. Sämtl. Tonbandaufnahmen. Frankfurt/Main: Zweitausendeins, 1992.
- Otfried Boenicke: Was schluckte Arno Schmidt? In: Zettelkasten 5. Frankfurt/Main: Bangert & Metzler, 1987.
Persönliche Mitteilungen von Bernd Rauschenbach, Sekretär der Arno Schmidt-Stiftung.

Thomas Illmaier

Zschr. Hanf, 11/1997, S. 20-22.


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